Die Geschichte des Staates als Herrschaftsgeschichte
Schon wieder ein Verstoss gegen meine selbst auferlegten drei Tage Wartezeit:
Durch Zufall stiess ich bei meinen Streifzügen durch die Weiten des Web auf Franz Oppenheimer. Der hat hammermässig plausibel & detailliert beschrieben, wie der Staat entstanden ist: indem nomadisierende Hirtenvölker sesshafte Ackerbauern unterwarfen. Das geschah an vielen Stellen dieses Planeten & zu vielen verschiedenen Zeiten, jedoch ist der Staat "seiner Entstehung nach ganz und seinem Wesen nach auf seinen ersten Daseinsstufen fast ganz eine gesellschaftliche Einrichtung, die von einer siegreichen Menschengruppe einer besiegten Menschengruppe aufgezwungen wurde mit dem einzigen Zwecke, die Herrschaft der ersten über die letzte zu regeln und gegen innere Aufstände und äußere Angriffe zu sichern. Und die Herrschaft hatte keinerlei andere Endabsicht als die ökonomische Ausbeutung der Besiegten durch die Sieger. Kein primitiver »Staat« der Weltgeschichte ist anders entstanden."
Seine Schrift Der Staat ist zwar im Jahre 1909 entstanden aber dennoch von erstaunlicher Aktualität. Dass darin die Rede von "Negern" & "Primitiven" ist, erklärt sich aus der Entstehungszeit des Textes, womit ich diese Formulierungen nicht gutheissen will.
In genau die gleiche Kerbe haut Paul C. Martin (kurz PCM), mein Lieblings-Ökonom, der sich in mehreren Aufsätzen mit der Frage, wie das Geld & der Zins ursprünglich entstanden sind, beschäftigt: & seine Machttheorie des Geldes in einer Reihe von Diskussionsbeiträgen im Elliott-Wellen-Forum weiter ausarbeitet.
Oppenheimer beschreibt dabei zusätzlich - wenn auch manchmal idealisierend - den Vorgang des "nation building" vom allerersten Anfang an sehr zutreffend. Die grosse Herausforderung besteht dabei ja darin, dass die Beherrschten sich in ihrer Rolle einrichten & dem eigenen Staat loyal werden, obwohl dieser sie doch ökonomisch ausbeutet (durch Steuern). Um dieses Resultat zu erreichen, muss die herrschende Klasse sich für ihre Untertanen "nützlich machen". Das tut sie, indem sie Schutz vor äusseren Feinden bietet.
Bekannt dürfte dieses Modell vor allem aus dem mittelalterlichen Feudalismus sein. Dieser ist aber nur ein Beispiel von vielen.
Mein hauptsächlicher Kritikpunkt ist, dass Oppenheimer Reichtum & Herrschaft nicht als Selbstzweck betrachtet, sondern als Mittel um soziales Prestige zu erlangen. Darin ist er wohl zu sehr Soziologe. Warum sollte Herrschaft über andere kein hinreichendes Ziel für einen Menschen sein?
Das letzte, spekulative Kapitel "Die Tendenz der staatlichen Entwicklung" ist hochgradig naiv & erweist sich im Nachhinein als Griff ins Klo: Oppenheimers Behauptung, die Entwicklung der Staaten gehe hin zu einer klassenlosen & friedlichen Gesellschaft, in der die "reine Wirtschaft" (worunter er nur äquivalenten Tausch versteht), wird durch den Ersten Weltkrieg nur wenige Jahre nach Erscheinen seines Aufsatzes gründlich widerlegt. Seine Theorie, die Ausbeutung im Kapitalismus sei ausschliesslich durch das Grossgrundeigentum bedingt, hat sich klar als falsch erwiesen. Übrigens auch die Behauptung, das Grossgrundeigentum würde sich auflösen. Land ist heute als landwirtschaftliche Nutzfläche nicht mehr sonderlich rentabel, als Standort für Industrie & Handel dafür um so mehr. Jeder grosse Konzern hat heute, neben der Hausbank, eine Immobilienabteilung.
Zwar bestimmt "die Wirtschaft" heute immer stärker über unser Leben, während die staatliche Herrschaft zurückgeht, das bedeutet aber noch lange nicht das Verschwinden des "politischen Mittels", wie Oppenheimer es nennt. Wirtschaftsunternehmen beherrschen uns - zwar auf andere Weise als Staaten, doch sie tun es ebenfalls. Umberto Eco sieht im Zusammenhang mit der konzerngesteuerten Globalisierung einen neuen Feudalismus heraufdämmern. Ich muss dabei auch immer an die Zukunftsvision des Cyberpunk-Rollenspiels Shadowrun denken.
Für die Kritik an der Vorstellung einer "reinen Wirtschaft", eines "freien Marktes", in dem Macht & Herrschaft keine Rolle spielen, empfehle ich die Analysen von PCM. Um die Einhaltung von Verträgen wirkungsvoll durchsetzen zu können, braucht's eine Herrschaftsstruktur die mit Gewalt droht & diese im Ernstfall auch einsetzt - kurz, einen Staat.
Wer da was gegen hat, muss konsequenterweise so leben wie die Schenker.
Durch Zufall stiess ich bei meinen Streifzügen durch die Weiten des Web auf Franz Oppenheimer. Der hat hammermässig plausibel & detailliert beschrieben, wie der Staat entstanden ist: indem nomadisierende Hirtenvölker sesshafte Ackerbauern unterwarfen. Das geschah an vielen Stellen dieses Planeten & zu vielen verschiedenen Zeiten, jedoch ist der Staat "seiner Entstehung nach ganz und seinem Wesen nach auf seinen ersten Daseinsstufen fast ganz eine gesellschaftliche Einrichtung, die von einer siegreichen Menschengruppe einer besiegten Menschengruppe aufgezwungen wurde mit dem einzigen Zwecke, die Herrschaft der ersten über die letzte zu regeln und gegen innere Aufstände und äußere Angriffe zu sichern. Und die Herrschaft hatte keinerlei andere Endabsicht als die ökonomische Ausbeutung der Besiegten durch die Sieger. Kein primitiver »Staat« der Weltgeschichte ist anders entstanden."
Seine Schrift Der Staat ist zwar im Jahre 1909 entstanden aber dennoch von erstaunlicher Aktualität. Dass darin die Rede von "Negern" & "Primitiven" ist, erklärt sich aus der Entstehungszeit des Textes, womit ich diese Formulierungen nicht gutheissen will.
In genau die gleiche Kerbe haut Paul C. Martin (kurz PCM), mein Lieblings-Ökonom, der sich in mehreren Aufsätzen mit der Frage, wie das Geld & der Zins ursprünglich entstanden sind, beschäftigt: & seine Machttheorie des Geldes in einer Reihe von Diskussionsbeiträgen im Elliott-Wellen-Forum weiter ausarbeitet.
Oppenheimer beschreibt dabei zusätzlich - wenn auch manchmal idealisierend - den Vorgang des "nation building" vom allerersten Anfang an sehr zutreffend. Die grosse Herausforderung besteht dabei ja darin, dass die Beherrschten sich in ihrer Rolle einrichten & dem eigenen Staat loyal werden, obwohl dieser sie doch ökonomisch ausbeutet (durch Steuern). Um dieses Resultat zu erreichen, muss die herrschende Klasse sich für ihre Untertanen "nützlich machen". Das tut sie, indem sie Schutz vor äusseren Feinden bietet.
Bekannt dürfte dieses Modell vor allem aus dem mittelalterlichen Feudalismus sein. Dieser ist aber nur ein Beispiel von vielen.
Mein hauptsächlicher Kritikpunkt ist, dass Oppenheimer Reichtum & Herrschaft nicht als Selbstzweck betrachtet, sondern als Mittel um soziales Prestige zu erlangen. Darin ist er wohl zu sehr Soziologe. Warum sollte Herrschaft über andere kein hinreichendes Ziel für einen Menschen sein?
Das letzte, spekulative Kapitel "Die Tendenz der staatlichen Entwicklung" ist hochgradig naiv & erweist sich im Nachhinein als Griff ins Klo: Oppenheimers Behauptung, die Entwicklung der Staaten gehe hin zu einer klassenlosen & friedlichen Gesellschaft, in der die "reine Wirtschaft" (worunter er nur äquivalenten Tausch versteht), wird durch den Ersten Weltkrieg nur wenige Jahre nach Erscheinen seines Aufsatzes gründlich widerlegt. Seine Theorie, die Ausbeutung im Kapitalismus sei ausschliesslich durch das Grossgrundeigentum bedingt, hat sich klar als falsch erwiesen. Übrigens auch die Behauptung, das Grossgrundeigentum würde sich auflösen. Land ist heute als landwirtschaftliche Nutzfläche nicht mehr sonderlich rentabel, als Standort für Industrie & Handel dafür um so mehr. Jeder grosse Konzern hat heute, neben der Hausbank, eine Immobilienabteilung.
Zwar bestimmt "die Wirtschaft" heute immer stärker über unser Leben, während die staatliche Herrschaft zurückgeht, das bedeutet aber noch lange nicht das Verschwinden des "politischen Mittels", wie Oppenheimer es nennt. Wirtschaftsunternehmen beherrschen uns - zwar auf andere Weise als Staaten, doch sie tun es ebenfalls. Umberto Eco sieht im Zusammenhang mit der konzerngesteuerten Globalisierung einen neuen Feudalismus heraufdämmern. Ich muss dabei auch immer an die Zukunftsvision des Cyberpunk-Rollenspiels Shadowrun denken.
Für die Kritik an der Vorstellung einer "reinen Wirtschaft", eines "freien Marktes", in dem Macht & Herrschaft keine Rolle spielen, empfehle ich die Analysen von PCM. Um die Einhaltung von Verträgen wirkungsvoll durchsetzen zu können, braucht's eine Herrschaftsstruktur die mit Gewalt droht & diese im Ernstfall auch einsetzt - kurz, einen Staat.
Wer da was gegen hat, muss konsequenterweise so leben wie die Schenker.
iromeister - 2005-10-14 22:07
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