Wirtschaften

Montag, 22. Mai 2006

Anker in die Zukunft werfen

Vor allem seit ich mit Sabine zusammen bin, krempelt sich mein Leben in einer atemberaubenden Geschwindigkeit um. Planen, mir Ziele setzen & diese dann ziel-strebig zu verfolgen geht einfach nicht mehr. Mir bleibt in diesem Zustand nur noch, Anker in die Zukunft zu werfen & dann ganz viel zu fieren. So ist dann einerseits der Weg das Ziel & anderseits der Weg nicht fest vorgegeben; der Anker dient nur als Orientierungspunkt.
Einer seiner Haken steckt im Jahr 2018 bei der Fussball-Weltmeisterschaft.
Es ist nämlich schon im Winter in Jahnishausen die Vision in mir gereift, dass ich ein Unternehmen gründen werde, das "Faire Turnschuhe" produziert & verkauft. Das heisst so viel wie Turnschuhe, die anders als heute ohne Ausbeutung von Mensch & Natur hergestellt werden. Über die heute gängigen Produktionsbedingungen kannst Du Dich beispielsweise bei der Kampagne für saubere Kleidung informieren.
Ich habe ein Konzept geschrieben, das in der jeweils aktuellen Fassung hier heruntergeladen werden kann (im PDF-Format): Faire Turnschuhe.

Vor diesem Hintergrund wird wohl auch noch einmal klarer, was mich als in erster Linie Gemeinschaftsreisenden auf Tagungen wie Profit & Spiritualität, die Alternativen Genossenschaftstage oder die Oikos-Konferenz zieht & warum ich mich hier über Meilensteine der Wirtschaftswissenschaft auslasse. Im übrigen auch weshalb ich so begeistert von brand eins, Wolfgang Bergers Business Reframing & der Arbeit von Michael Braungart bin.
Meine Überlegungen zum Paradigmenwechsel vom Mangel zur Fülle gehören hier auch hin.

Was hat es nun mit der 2018er Fussball-WM auf sich? Ich träume davon, die brasilianische Nationalmannschaft auszustatten - die in diesen Schuhen natürlich den Titel holt :-D

Dass ich die Katze ausgerechnet jetzt aus dem Sack lasse hat seinen Grund: Über Himmelfahrt fahre ich nach Bad Kissingen zum Kongress Der neue Geist in der Wirtschaft in der Akademie Heiligenfeld. Nicht nur deshalb fühle ich, dass die Zeit reif ist, meine Idee auch hier öffentlich zu machen.

Dienstag, 21. Februar 2006

Meilensteine der Wirtschaftswissenschaft

Momentan bin ich mal wieder in Bielefeld, um Sachen umzuräumen. Ich hab den Winter verabschiedet, meinen warmen Pullover wieder im Karton verstaut (mehr zum Winter in Kürze!).
Bei der Gelegenheit habe ich zwei Meilensteine der Wirtschaftswissenschaft mitgenommen.
Vorneweg: Wem solche Fachartikel zu kompliziert sind, der/dem empfehle ich Andreas Eschbachs Roman Eine Billion Dollar.

Den einen Aufsatz habe ich schon länger rumliegen:

Gunnar Heinsohn/Otto Steiger: Geld, Produktivität und Unsicherheit in Kapitalismus und Sozialismus (Aufsatz in der Zeitschrift Leviathan, Bd. 9, 1981, S. 164-194 - zu bekommen über jede Uni-Bibliothek).

In diesem Artikel begründen Heinsohn & Steiger (kurz H&S) die Debitismus-Theorie, die im Anschluss vor allem von meinem persönlichen Wirtschaftstheorie-Guru Paul C. Martin (PCM) weiterentwickelt wurde & eine sehr spannende Wendung gemacht hat. PCM hat nämlich den Faktor Macht als untrennbaren Bestandteil wirtschaftlichen Handelns erkannt & damit alte Vorstellungen von "freien Märkten" obsolet gemacht.
Durch sein Buch Der Kapitalismus - ein System, das funktioniert (auch als PDF erhältlich) habe ich erstmals begriffen, wie unsere Wirtschaft funktioniert (ganz komprimiert nachzulesen in seinem Beitrag DAS ist unser heutiges Kredit- und Kreditgeldsystem (in 59 Punkten)).

Doch zurück zum eigentlichen Artikel. Ausgehend von der Frage, wie der Kapitalismus in England entstanden ist, kritisieren sie die Darstellung dieser Entwicklung durch Marx. Ihrer Ansicht nach stellt sich nach dem Bauernaufstand unter der Führung von Wat Tyler im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern (wo die Aufstände niedergeschlagen wurden) eine Pattsituation ein: Die ehemals Leibeigenen sind nun frei im doppelten Sinne - frei von der Leibeigenschaft, aber auch frei von jeglichem Eigentum. Das befindet sich nach wie vor in den Händen der Adligen. Doch die können nun nicht mehr die Bauern direkt zur Fronarbeit zwingen, sondern müssen den freien Landarbeitern eine Gegenleistung bieten; sie müssen sie bezahlen. Denn allein können sie ihre Ländereien nicht bewirtschaften & somit nicht mehr davon leben.
Damit ist der moderne Arbeitsmarkt geboren.
Nun kommt die bahnbrechende Aussage darüber, wie Geld entsteht:
Hier haben wir eine historische Situation, in der Geld entsteht: Der Leibeigene, der freier Bauer werden wollte, aber nur freier Lohnarbeiter wurde und daher seine Lebensmittel nicht selber herstellen kann, muss diese nun kaufen können. Der Adelige, der Grundbesitzer, aber nicht Feudalherr geblieben ist, muss dem nun so dringend benötigten Lohnarbeiter eben diese Kauffähigkeit verbürgen. Damit nun der Lohnarbeiter ein Mittel zum Einkaufen in die Hand bekommt, muss der Grundbesitzer bei ihm Schulden machen. Das gelingt ihm dadurch, dass er für die Ansprüche des Lohnarbeiters mit seinem Grundeigentum bürgt. Der Lohnarbeiter, der mit einem 'Schuldschein' des Landbesitzers einkaufen geht, bekommt für diesen Schuldschein etwas, das durch Grundbesitz gedeckt ist und das er gerne übernähme. Der Lohnarbeiter verdingt sich, selbst wenn er über eine minimale Subsistenzwirtschaft bereits verfügt, für Geld, um sein ursprüngliches Ziel - freier Bauer zu werden - durch Erwerb oder Zuerwerb von Land, dessen Verkaufbarkeit über Verpfändung durch den kreditsuchenden Grundherrn nunmehr gegeben ist, realisieren zu können. Dieses Motiv treibt auch heute noch viele südeuropäische Gastarbeiter, die einmal ein eigenes Geschäft haben wollen, in die Lohnarbeit.
PCM sieht das allerdings heute anders, & ich konnte den beiden vom ersten Lesen an nicht so ganz folgen in diesem Punkt.
In ihrer Einschätzung der Situation auf dem damaligen Arbeitsmarkt gehe ich wieder mit H&S konform:
Die in der 'Gier' zum Ausdruck kommende Existenzangst wird infolge des Bevölkerungsrückgangs um ca. 60%, der im England des 14. und 15. Jahrhunderts zu verzeichnen ist, zudem dadurch verschärft - aber keineswegs hervorgerufen -, dass die Grundbesitzer Lohnarbeiter nicht nur bezahlen, sondern erbittert um sie konkurrieren müssen. Wollen sie selbst überleben, müssen sie sich bei den Geldlöhnen dauernd überbieten und machen dadurch ihren Liquiditätsdruck bzw. die 'Geldgier' zu einem Dauerzustand. "Vor allem waren es aber die Arbeitgeber, die aus Gewinnsucht den Arbeitern erhöhte Löhne bewilligten, sie einander, ja selbst dem König abspenstig machten".
Wir hatten es damals also mit einem ausgeprägten Verkäufermarkt zu tun.
Die Grundbesitzer taten allerdings nun alles dafür, dieses Verhältnis umzukehren:
Obwohl die Könige und Parlamente Gesetzt gegen hohe Arbeitslöhne (etwa 1389, 1406 un 1445) erließen, um wenigstens den verbliebenen echten Feudalherren die Existenz, d.h. die Leute zu erhalten, riss dieser Dauerzustand nunmehr unkriegerisch immer mehr Territorien und Menschen Englands in den Agrarkapitalismus und ließ diesen aus demselben Grunde des Liquiditätsengpasses jenen 'technischen' Fortschritt ersinnen, dessen erste auffällige Verkörperung die Verwandlung von Ackerland in Schafweide war. Mit dieser ersten wirklichen kapitalistischen Rationalisierung sollten die für Löhne notwendigen Geldvorschüsse (= Verschuldungen) verringert werden, ohne doch das zu verkaufende Produkt zu vermindern [...].
Kurz gefasst: Schuldendruck als innovative Schubkraft des Kapitalismus/Debitismus. Über die Jahrhunderte hinweg musste das notwendig dazu führen, dass immer weniger Arbeitskräfte gebraucht werden. Massenarbeitslosigkeit ist die logische Folge dieser Entwicklung.
Fasziniert & begeistert hat mich schon beim ersten Lesen H&S' Antwort auf dieses Problem: Genossenschaften gründen!
Würde hingegen die Konkurrenz nicht mehr allein von Individualkapitalisten, die Lohnarbeiter ausbeuten, sondern auch von Produktivgenossenschaften bestritten, dann würde das produktivitätsfördernde Element des Privateigentums erhalten bleiben. Nunmehr würde die "Expropriation der Expropriateure" tatsächlich als Bankrottkonkurrieren von Ausbeuterbetrieben durch Genossenschaften erfolgen. Diese Genossenschaften bildeten ein privates Eigentümerkollektiv. Durch Beseitigung der Reibungsverluste, die im Ausbeuterbetrieb aus der notwendigen Drückebergerei der Lohnarbeiter resultieren, könnten sie sich gegenüber diesen Betrieben einen Konkurrenzvorteil verschaffen. [...]
Anstatt also das Privateigentum vom Skandal der individuellen Aneignung, d.h. von der Lohnarbgeit zu befreien und damit seine so hoch geschätzte Dynamik zu erhalten, anstatt also Produktivgenossenschaften die Ausbeuterbetriebe im Wettbewerb besiegen zu lassen, bis schließlich die gesamte Gesellschaft nur noch aus Genossenschaften besteht, wird durch die gewaltsame Überführung keineswegs bereits bankrotter Ausbeuterbetriebe in die "Hände des Staates" der Sitz der Krankheit, also das durch individuelle Aneignung verzerrte Privateigentum, mit der Ursache der Krankheit verwechselt [...]

Eine positive Kritik des real existierenden Staatssozialismus also, voll kompatibel mit dem Prinzip der Freien Kooperation.

Sehr überzeugend finde ich die darauf folgende Kritik der marxistischen Vorstellung, eine umfassende Planwirtschaft könne "Verschwendung" vermeiden:
Die Schwäche dieser Argumentation besteht darin, dass wir im "a priori" des geplanten Vorgehens im einzelnen Betrieb gerade kein vorabgewusstes richtiges Handeln am Werke sehen, sondern lediglich eines, das sich nur im nachhihein als rational bzw. vergeblich bestimmen lässt. Das a priori folgt immer bereits den vom Konkurrenten aufgezwungenen technischen Parametern. Wer hinter diesen zurückgeblieben ist, plant - fürs eigene Überleben - ihr Einholen bzw. Übertreffen. Existiert dieser andere mit seinen konkurrenzüberlegenen Vorgaben nicht, gibt es auch keinen Maßstab für die jeweils eigene Entwicklung mehr. Funktioniert nach der politischen Enteignung der Staat wie ein Superbetrieb, verfügt er deshalb über keinen Maßstab, an dem er die kostengünstigste Weiterentwicklung zu erkennen vermag.
[...]
Die Aussage 'kostengünstiger' ist sinnvoller nur als eine Vergleichsaussage. Der Vergleich soll aber als Verschwendung von Ressourcen durch Mehrfachentwicklungen gerade ausgeschaltet werden. Will der Staat jedoch mit der selben Wahrscheinlichkeit wie die Konkurrenz der vielen Privateigentümer die kostengünstige Variante finden, muss er auch ebenso viele Experimente veranlassen, wie diese in Konkurrenz miteinander veranstalten. Begibt er sich dieser Möglichkeit, so beraubt er die Arbeiter der schnellstmöglichen Verringerung notwendiger Arbeitszeit, die doch sein Programm ist.

Ein überzeugendes Plädoyer für Marktwirtschaft. Ich bin auch seit längerem ein grosser Fan des Marktmechanismus, & meine Begeisterung nimmt immer noch zu. Der Markt ist eine der genialsten Erfindungen der Menschheit; sofern er überhaupt als Erfindung bezeichnet werden kann. Die Mechanismen der Evolution - Mutation und Selektion - sind letztlich nichts anderes.
Doch der Markt allein ist kein Allheilmittel, weil der Marktmechanismus ein blinder Mechanismus ist. Aktuell verdeutlicht das die Heros-Pleite. Die einzelnen Marktteilnehmer berücksichtigen nur die Faktoren, die sie individuell betreffen, wodurch eine Situation entstehen kann, in der ein einzelnes Geldtransport-Unternehmen (wegen betrügerischer Geschäftspraktiken, wie sich nun herausstellt) über 50% Marktanteil hat. Die Risiken in der Bargeldversorgung, die ein Bankrott dieses Marktführers bedeutet, wurden vom Markt nicht berücksichtigt. Dies wäre nur möglich durch externe Vorgaben. Womit ich nicht zwingend den Staat meine.
Ein weiteres Beispiel, dass ein Markt erst durch externe Vorgaben bestimmte Folgen & Risiken wahrnehmen kann, ist die Forderung nach einer Haftpflichtversicherung
für die deutschen Atomkraftwerke
.

Zum Schluss noch mehr über Genossenschaften:
Die Kibbutzim etwa im Territorium der Republik Israel betreiben die produktivste Landwirtschaft der Erde und verfügen zugleich über kaum weniger überzeugende Industrie- und Dienstleistungssektoren: "Der Kibbutz als kollektiv betriebene Produktionseinheit hat bewiesen, dass er nicht schlechter - um es eher untertreibend zu formulieren - abgeschnitten hat als seine Konkurrenten auf dem Markt. Das gilt sowohl für seine Produktivität als auch für seine Akkumulationsfähigkeit."
Sehr wichtig finde ich den Vorschlag eines genossenschaftlichen Versicherungsfonds:
Das genossenschaftliche Eigentum brächte den freien Arbeiter als freies Kollektiv zurück. Es kennt den individuellen Ausbeuter nicht und verwandelt das traditionelle Risiko der Einkommenslosigkeit bei mangelnder Marktgängigkeit der Produkte in egalitäre Einkommensverminderung. Der Vergleich mit anderen, reicheren Genossenschaften spornt dann dazu an, diese Einkommensverminderung nicht zu weit gehen zu lassen, den Unterschied vielmehr aufzuholen und so eine neue Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung in Gang zu setzen. Auch in einer solchen Struktur darf nicht ausgeschlossen werden, dass ganze Genossenschaften unter das Existenzminimum fallen können. Für die Absicherung gegen dieses Risiko müssen sie also einen Versicherungsfonds bilden, aus dem dann auch Genossenschaftsbetriebe finanziert werden bzw. die Genossen bis zur Aufnahme in eine andere Genossenschaft ihren Unterhalt bestreiten können.

Hier schliesst sich nahtlos ein weiterer Meilenstein an:

Hans-Werner Sinn: Risiko als Produktionsfaktor (Antrittsvorlesung in München), Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 201, 1986, pp. 557-571.

Sinn definiert einleitend zunächst, was Risiko ist:
Risiko ist das Gegenteil von Sicherheit und bezieht sich auf den Grad des Vertrauens, mit dem ein wirtschaftlicher Entscheidungsträger das Ergebnis seiner Wahlhandlungen vorausschätzt. Verstehen Sie bitte Risiko als die Möglichkeit des beidseitigen Abweichens des Handlungsergebnisses von einem Mittelwert, der ein "normales" oder "erwartetes" Ergebnis bezeichnet. Sie können es auch als die mathematische Varianz der vom Entscheidungsausträger für möglich gehaltenen Ergebnisausprägungen interpretieren.

Nun die These der Vorlesung:
Was ich nun behaupte, und damit beginnt der erste Teil meines Vortrages, ist, dass auch mehr Risiko mehr Produktion schafft. Natürlich nicht: mehr Produktion in jedem Einzelfall, denn es liegt ja in der Natur des Risikos, dass auch weniger als erwartet herauskommen kann. Aber im Mittel, über die Zeit gesehen und für alle wirtschaftlichen Aktivitäten einer Volkswirtschaft zusammengenommen wird, so glaube ich, die Bereitschaft, mehr Risiko zu tragen, zu einem erhöhten Produktionsniveau führen.
Das ist erst einmal starker Tobak. Und auch Sinns Definition eines Unternehmers als "jemand, der kraft des Haftungskapitals, das er in die Firma eingebracht hat, in der Lage ist, produktive Risiken zu tragen, und sich deshalb über die bloße Eigenkapitalverzinsung hinaus eine Risikoprämie verdienen kann" wird wohl nicht von jedem & jeder geteilt.

Kommen wir also zur Begründung:
Wenngleich wir die meisten Risiken, denen wir ausgesetzt sind, ohne Schutz selbst übernehmen müssen, wird doch ein erheblicher Teil von ihnen verschiedenen Risikoausgleichsmechanismen zugeführt. Das offenkundigste Beispiel liefern Versicherungen, deren Prämien mitunter beträchtliche Teile unserer Einkommen absorbieren.
Auch Versicherungen laden die Risiken letztlich wieder auf den Schultern von Haushalten ab; schließlich müssen ja ihre Aktionäre für alle Verluste aufkommen! Aber sie tun dies, indem sie jedes einzelne Risiko, das sie übernehmen, zerstückeln und jedem der tausenden von Aktionären nur einen winzigen Bruchteil zuweisen. Bei stochastischer Unabhängigkeit schrumpft so auch das Risiko, das beim repräsentativen d.h. durchschnittlichen Haushalt verbleibt, auf einen Bruchteil dessen zusammen, was es ohne Versicherung gewesen wäre.
Traditionell pflegt man diesen Konsolidierungsprozess als "Produktion von Sicherheit" zu interpretieren. Man denkt dabei an fest vorgegebene Risiken, die durch die Versicherung zu einem großen Teil eliminiert werden. Der Prozess lässt sich aber auch umgekehrt interpretieren: gegeben das Risiko, das letztlich vom repräsentativen Haushalt getragen werden muss, erlaubt die Risikokonsolidierung eine gewaltige Vergrößerung der Anfangsrisiken, die im Wirtschaftsprozess entstehen dürfen. So gesehen ist die Versicherung eine Institution, die den elementaren Produktionsfaktor Risiko vermehrt und eine Volkswirtschaft in die Lage versetzt, aus dem reichen Vorrat an Chancen zu schöpfen, die Technik und Natur ihr bieten.

Aha: Versicherungsmechanismen erhöhen also die Risikobereitschaft! Jedenfalls können sie das tun; der entgegengesetzte Fall der Vollkaskomentalität ist ebenso möglich. Übrigens fördert beides die Versicherungswirtschaft...

Über den Effekt, dass ich umso mehr riskiere, je höher ich mich versichere, schreibt Sinn:
Niemand weiss, von welchem Umfang die Produktionszuwächse sind, die aus der Existenz wohlorganisierter Versicherungsmärkte bislang entstanden sind. Es würde mich aber nicht wundern, wenn der ökonomische Vorteil dieser Produktionszuwächse den Vorteil, den der bloße Sicherheitsgewinn für risikoscheue Individuen bietet, bei weitem übersteigt. Ja, ich würde es nicht einmal ausschließen, dass die Versicherungen, eben weil sie einen Übergang zu riskanterer wirtschaftlicher Aktivität veranlassen, per saldo gar keine größere Sicherheit bewirken.
Erstaunlich, aber durchaus nachvollziehbar.

Nun wird's aber noch viel erstaunlicher:
Versicherungen sind offensichtliche, aber nicht die einzigen und auch nicht die größten Produktionsstätten des knappen Faktors Risiko. Der bedeutendste privatwirtschaftliche Risikokonsolidierungsmechanismus ist der Aktienmarkt, auf den ja, wie ich erläutert habe, letztlich auch die Versicherungsrisiken übertragen werden. Der Aktienmarkt ist auch ein Kapitalmarkt, aber seine Besonderheit im Vergleich zum Markt für festverzinsliche Anlageformen ist natürlich der Risikoaspekt. Der Aktienmarkt ermöglicht es den Kapitalanlegern, sich statt an einer Unternehmung ganz an vielen ein bisschen zu beteiligen und führt deshalb aus ähnlichem Grunde wie die Versicherung zu einer drastischen Ausweitung der von risikoaversen Individuen verkraftbaren Anfangsrisiken nebst der daraus resultierenden Produktivitätseffekte.
Unter diesem Aspekt hatte ich den Aktienmarkt noch nie betrachtet. Problematisch bleibt er nichtsdestotrotz, weil er durch die jederzeitige Verkaufbarkeit von Aktien eine Eigendynamik entwickelt, die wieder eigene Systemrisiken produziert: Herdenverhalten (siehe Gustave Le Bon).

Hans-Werner Sinn setzt nun sogar noch einen drauf & lobt den Sozialstaat:
Traditionell sieht sich die paretianische Wohlfahrtstheorie außerstande, zu der Einkommensumverteilungsaktivität des Staates viel zu sagen, und wenn überhaupt, so wird ein schier unüberbrückbarer Zielkonflikt zwischen Effizienz und Gerechtigkeit behauptet. Viele Autoren haben deshalb zum Beispiel davor gewarnt, die staatliche Versicherungstätigkeit, die man ja noch mit paretianischen Effizienzkriterien begründen kann, mit Umverteilungselementen zu vermischen. Ich glaube aber, wir sollten hier alle umdenken. Umverteilung ist nämlich auch Versicherungsschutz und auch sie kann deshalb aus rein paretianischen Effizienzerwägungen heraus legitimiert werden. Es besteht kein Gegensatz zwischen Umverteilung und Versicherung, denn eine Versicherung ist doch ein Umverteilungssystem, das Ressourcen der Glücklichen auf jene überträgt, die Pech gehabt haben. Umverteilung und Versicherung sind zwei Seiten derselben Medaille.
Natürlich ist es richtig, dass das Umverteilungssystem Ressourcen auch von den Fleißigen auf die Faulen überträgt und insofern zu Fehllenkungen des wirtschaftlichen Verhaltens führen kann. Aber das steht der Versicherungsinterpretation nicht grundsätzlich entgegen. Auch jede private Versicherung tut ähnliches, indem sie mangels hinreichender Beobachtbarkeit privaten Verhaltens auch solche Schäden tragen muss, die nicht durch Zufall, sondern durch nachlässiges Verhalten der Versicherten entstanden sind. Moral Hazard und Excess Burden gibt es in beiden Systemen.

Eine geile, innerökonomische Begründung des Sozialstaats!
Die Solidarität einer demokratischen Gesellschaft mit all ihren Schutz- und Sicherungssystemen mag bisweilen ausgenutzt werden; der Begriff des Rent-Seekers ist hierfür populär geworden. Sie gibt den jungen Menschen aber auch die Sicherheit und das Selbstvertrauen, das sie brauchen, um riskante und vielversprechende Lebenschancen wahrzunehmen. Insofern bin ich nicht überzeugt, dass das verbreitete Vorurteil stimmt, der Sozialstaat komme uns alle teuer zu stehen. Im Gegenteil, ich halte es für durchaus möglich, dass er erst einen Grossteil der Produktivkräfte freigesetzt hat, die für den wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegszeit verantwortlich waren.

Abschließend liefert Sinn eine (Teil-) Erklärung für die fehlgeleitete wirtschaftliche Entwicklung der "Entwicklungsländer":
Der Import des Produktionsfaktors Risiko kann durch den Abschluss von Versicherungsverträgen mit ausländischen Gesellschaften geschehen, wie es insbesondere im internationalen Rückversicherungsgeschäft üblich ist. Er kann aber auch, und das scheint die Hauptquelle zu sein, durch den Import von Beteiligungskapital erfolgen. Denken Sie an Direktinvestitionen oder den Erwerb inländischer Aktien seitens ausländischer Haushalte oder Unternehmen. [...]
Diese Zusammenhänge erklären vielleicht einen Teil der Misere, in die so viele Entwicklungsländer durch die internationale Verschuldungskrise geraten sind. Aus Angst vor politischen Abhängigkeiten haben sie wenig Beteiligungskapital, dafür aber um so mehr Fremdkapital importiert. Sie haben damit genau das Gegenteil der von mir gerade beschriebenen Politik getan; nämlich sie haben den Faktor Kapital importiert und auf den Import des Faktors Risiko verzichtet.
Im nachhinein wissen wir heute, dass dies nicht die richtige Entscheidung war. Das typische Entwicklungsland war durch einen großen Vorrat an ertragreichen und riskanten Produktionschancen, gleichzeitig aber durch Armut und eine entsprechend geringe Risikotoleranz gekennzeichnet. Beides passte nicht zusammen und musste in eine Krise führen.
Eine gesunde Entwicklungspolitik hätte auf den Import von Beteiligungskapital statt jenen von Fremdkapital, also auf den gemeinsamen Import der Faktoren Kapital und Risiko setzen müssen. In den meisten Entwicklungsländern wäre die wirtschaftliche Entwicklung dann wohl günstiger verlaufen. Die Verschuldungskrise wäre jedenfalls nicht entstanden, und die politischen Abhängigkeiten wären auch nicht größer gewesen, als sie es nun geworden sind.

Mikrokredite wie die von Oikocredit sind - obwohl Fremdkapital - eine sinnvolle Ergänzung, um Unternehmen in ganz kleinem Stil zu fördern. Eine Kapitalbeteiligung wäre in solchen Grössenordnungen nicht praktikabel.

Sonntag, 19. Februar 2006

Paradigmenwechsel

Mir ist heute bei einem ausgiebigen Spaziergang klar geworden, worin der Paradigmenwechsel vom Mangel zur Fülle inhaltlich besteht:

Es geht um einen Wechsel vom Denken in Mengen zum Denken in Wirkungen.

Mit "Menge" meine ich hier Quantität & zunächst nicht den mathematischen Mengenbegriff.
Sprachlich ist das übrigens interessant: Mangel enthält den gleichen Laut wie Angst, ebenso wie in der Menge die Enge steckt.

Ich habe bisher Paradigmenwechsel in unterschiedlichsten Gebieten gesammelt & anhand dieser beiden Denk-Arten kategorisiert:
Bereich Denken in Mengen Denken in Wirkungen
allgemein Effizienz / Optimierung Effektivität / Wirksamkeit
Psychotherapie Dampfkesselmodell (Freud, Reich usw.) second order change / Reframing / Konstruktivismus
(Unternehmens-) Führung Druck / Zwang Sog / Anziehung (Schauberger, Jecklin)
Motivation Belohnen & Strafen, Konditionieren Flow, intrinsische Motivation durch Sinn
Entscheidungsfindung Mehrheitsprinzip Konsens / Freie Kooperation
Betriebswirtschaft Nullsummenspiele / Gleichgewichtsmodelle Win-Win-Situationen
Volkswirtschaft Wachstumszwang vielfältige Wachstumsmöglichkeiten
Lebensunterhalt an Erwerbsarbeit gekoppelt Grundeinkommen (oder Neue Arbeit, die Frage ist für mich offen)
Kommunikation Bedürfnisse Entwicklungsmöglichkeiten
Mathematik Mengentheorie Lambda-Kalkül / kombinatorische Logik
  Rechnen mit Zahlen / Variablen Rechnen mit Operatoren
Informatik imperative Programmiersprachen funktionale Programmiersprachen / Pile
Physik Erhaltungssätze Wirkungsquantum

Wie gesagt, das ist eine lose Sammlung & nur eine grobe Skizze meiner Vorstellung. Kommentare willkommen!

Freitag, 17. Februar 2006

What the #$*! Do We Know!?

Selten hat mich ein Film so extrem inspiriert wie What the Bleep Do We Know?!, den ich mir in Dresden mit etlichen anderen aus Jahnishausen angesehen habe. In einen Satz komprimiert dreht sich der Film um die Frage, was ist eigentlich (die) Wirklichkeit, was können wir darüber wissen & welchen Einfluss haben wir darauf?

Für mich der spannendste Aspekt ist, dass der Film ausgiebig auf das Phänomen Sucht eingeht. Auch weil mich selber ja seit einiger Zeit meine Esssucht beschäftigt. Mir hat der Film gezeigt, was es braucht, um aus diesem Teufelskreis von Dosis erhöhen oder - in einer Formulierung von Paul Watzlawick - more of the same (mehr desselben) herauszutreten. Mehr dazu siehe Meta-Problemlösungs-Strategien und die Idee der Problemlösungen II. Ordnung. Das Buch Change; Principles of Problem Formation and Problem Resolution (dt. Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels.) ist ein bahnbrechendes Werk auf diesem Gebiet.

Nun beschreibt der Film, was beim Dosis erhöhen in den einzelnen Zellen passiert: die Rezeptoren für den Suchtstoff schrumpfen. Dadurch wirkt das Andocken des Botenstoffs an einem einzelnen Rezeptor schwächer. Gleichzeitig vermehren sich die Rezeptoren & verdrängen andere Rezeptoren. Im Ergebnis wird die "süchtige Zelle" immer abhängiger von dem einen bestimmten Botenstoff. Das muss keine Droge sein, die unter das Betäubungsmittelgesetz fällt, der Mechanismus funktioniert mit Nährstoffen genauso. Zucker ist z.B. ein häufiger Kandidat.
Was ist das Gegenmittel? Vielfalt! Gezielt nicht immer mehr von dem einen Stoff (oder Gefühl, oder Gedanken, ...) in mich reinstopfen, sondern mich einer Vielzahl von unterschiedlichen Reizen aussetzen.

Gerald Hüther erzählte ähnliches über die Gehirnentwicklung beim Rudolf-Bahro-Symposium. Die Neuronen bilden zunächst viel mehr Verknüpfungen als langfristig gebraucht werden, damit unter den vielen Möglichkeiten die besten erhalten bleiben.

Dieser Gedanke auf das Wirtschaftssystem übertragen bedeutet: Wir brauchen kein eindimensionales Wachstum, sondern wachsende Vielfalt!

Ein nächster Gedanke: Der Zwang Wirtschaftswachstum stellt nichts anderes dar als die Dosis erhöhen; & zwar weil das Suchtmittel Geld eindimensional & monopolisiert vorliegt. Es gibt zwar verschiedene Währungen, die aber alle so miteinander verknüpft sind, dass Liquidität als einziges Ziel übrig bleibt.
Deshalb liegt als Ausweg eine Vielfalt an Geldsystemen/Währungen nahe, wie sie Bernard Lietaer propagiert. Der kurze Artikel Währungssysteme und Archetypen ist ein guter Einstieg.

Wolf Lotter hat ein Buch geschrieben, das ich vor kurzem entdeckte & mir bestimmt bald auch besorgen werde: Verschwendung. Wirtschaft braucht Überfluss - die guten Seiten des Verschwendens.
& natürlich gehört hier Götz Werner mit seinem Paradigmenwechsel Mangel -> Fülle hin.
Ebenso Hans Jecklin mit seinem Buch Wirtschaft Wozu? Abschied vom Mangel.


Die zweite umwälzende Erkenntnis, die mir der Film gebracht hat:
Wir sind Kommunikation!!!
Die Neurobiologin Candace Pert (englischer Artikel bei Wikipedia) beschreibt, dass im ganzen Körper ständig verschiedenste Botenstoffe zirkulieren & alle Zellen diese Informationen aufnehmen, darauf reagieren & in vielen verschiedenen Organen solche Botenstoffe hergestellt werden. Das wird im Film noch als Computeranimation visualisiert, & dieses Bild von den unzähligen Botenmolekülen hat mich völlig geflasht. Irgendwie gewusst hatte ich das schon lange, doch erst die Eindrücke des Films machten mir klar, dass mein ganzer Körper ein einziger riesig komplexer Kommunikationsprozess ist. & die Kommunikation macht an den Grenzen des Körpers nicht halt. Letzten Endes ist das ganze All ein Geflecht von Energieeinheiten, die ständig miteinander kommunizieren.
Mich persönlich hat das ganz stark darin bestätigt, mich nicht zurückzuhalten, wenn ich etwas mitzuteilen habe. Diese Sichtweise entfernt sich sehr weit von "mir", der festen, isolierten Persönlichkeit, die verschiedenste Gründe hat zu schweigen. Es verschwimmen auch die Grenzen. Zwischen "ich" & "du", zwischen "mir" & "der Welt" - das ist ständig im Kontakt & tauscht sich aus. Angst brauche "ich" dann auch keine zu haben. Wovor auch?
Watzlawicks Satz "Man kann nicht nicht kommunizieren" hat für mich eine ganz neue, fühlbare Qualität bekommen.


Zum Schluss nochmal zu der allgemeinen Aussage des Films zwei Assoziationen:
Wolfgang Berger schreibt in Business Reframing:
Das Ergebnis ist vor allen einzelnen Maßnahmen da, die es verursachen. Die Ursache-Wirkungs-Kausalität hat sich umgekehrt. Die Wirkung ist der Magnet, der die Ursachen anzieht, die sie braucht, um sich zu verwirklichen.

In genau die gleiche Kerbe haut der Vortrag Quantenbewusstsein von Deepak Chopra, den ich übrigens in meinem Spirituellen Taschenkalender 2005 gelesen habe.

Mittwoch, 21. Dezember 2005

Protestsparen - Eine andere Politik ist möglich

Eine Initiative der Bewegungsstiftung: Protestsparen. Wer Geld anlegen will, hat bis zum 3. März 2006 die Möglichkeit, so genannte "Protestsparbriefe" zu erwerben. Das sind zinslose Darlehen, mit denen die Bewegungsstiftung soziale Bewegungen unterstützt.

Sonntag, 18. Dezember 2005

Dankbarkeit

In meinem Spirituellen Taschenkalender steht für diese Woche der folgende Spruch drin:

Ohne Dankbarkeit gibt es kein Wachstum, ohne Dankbarkeit gibt es keine Religion, ohne Dankbarkeit gibt es kein Gebet. Religion beginnt mit Dankbarkeit & endet mit Dankbarkeit. Sie ist eine Reise von Dankbarkeit zu Dankbarkeit. Am Anfang ist es ein Same, am Ende ist es eine Blume. Aber die grundlegendste Tatsache ist, dass das Leben nicht für selbstverständlich gehalten werden darf. Wir haben es nicht verdient - es ist ein Geschenk.
(Der Spruch ist von Osho)

Mich traf dieser Spruch wie ein Schlag, denn es fällt mir unheimlich schwer, dankbar zu sein. & zwar sowohl, Dank zu äussern als auch, mich überhaupt dankbar zu fühlen. Inzwischen ist mir klar geworden, was mich am dankbar sein hindert, ist das Ego. Das Ego fürchtet nichts mehr als für etwas dankbar zu sein, denn damit erkennt es an, dass es darüber keine Kontrolle hatte, dass es etwas geschenkt bekommen hat. Anders ausgedrückt: bin ich dankbar für etwas, dann bin ich abhängig von jemand oder etwas anderem (ausserhalb von mir), die/der/das mich beschenkt hat.
Ich nehme im Moment zunehmend deutlich wahr, wie stark ich diesem Kontroll-Wahn unterliege. Inzwischen gelingt es mir schon, mich selbst dabei zu beobachten - früher lief das fast immer unbewusst ab.

Donnerstag, 24. November 2005

World Oil Peak Day

Der Erdölspezialist Kenneth S. Deffeyes hat den heutigen Tag zum World Oil Peak Day erklärt; siehe dazu das Interview in der taz. Es wird also langsam eng mit dem Erdöl. Da passt es natürlich ins Bild, dass sich britische & US-Ölkonzerne die irakischen Reserven sichern.
Es gibt einen englischsprachigen Film zum Peak-Oil herunterzuladen: Oilway to hell.
Eine interessante Webseite zum Thema Energie allgemein ist der Bund der Energieverbraucher.
Mir stellt sich dabei ganz besonders die Frage, was passiert eigentlich mit der globalen Frachterflotte, wenn das Schweröl ausgeht? War's das dann mit Welthandel, oder wird sich die Industrie rechtzeitig alternative Antriebssysteme ausdenken?

Mittwoch, 23. November 2005

Gesellschaft mit beschränkter Haftung?!?

Bindungs-Angsthase
Dieses Werbeplakat in Berlin hat mich doch ganz schön schockiert. Eine Gesellschaft, die solche Werbung macht, steht kurz vor ihrer Selbstauflösung bzw. befindet sich schon mitten darin.
Dabei fiel mir wieder ein, was der Unternehmensberater Ulrich Golüke im brand eins-Artikel über die kurzfristige Gesellschaft sagte (siehe Studiert Chemie!).

Sicher ist diese Werbung ironisch gemeint. Aber sie erhebt doch "Schluss machen, wann immer man will" zu einem erstrebenswerten Ziel.
Wie soll da ein Gesellschaftsvertrag zustande kommen & auch noch eingehalten werden?

Mittwoch, 26. Oktober 2005

Synergieeffekte

Durch einen Aushang in Heckenbeck bin ich auf den Bielefelder Mobilitätsberater Bernd Küffner aufmerksam geworden. Er arbeitet schon seit gut 30 Jahren in diesem Bereich, berät vor allem Unternehmen & geht seit einiger Zeit verstärkt auf gemeinschaftliche Lebens- & Wohnformen zu. In Gemeinschaften sollte das Interesse an gemeinschaftlichen Mobilitätslösungen schliesslich gross sein.
In Unternehmen hat Bernd Küffner die Erfahrung gemacht, dass Management & Geschäftsführung sich seine Vorschläge (die dem Unternehmen finanzielle Einsparungen bringen!) zwar anhören, aber in den seltensten Fällen auch umsetzen.
Gemeinschaften hingegen entstehen ja aus dem Wunsch, das Zusammenleben anders zu organisieren als in der bürgerlich-kapitalistischen Konsumgesellschaft. Dennoch ist auch hier das Auto oft noch selbstverständliches Privateigentum, das als zu empfindlich/wertvoll empfunden wird um es mit anderen zu teilen.

Im Zusammenhang mit dem Trampen hat Bernd Küffner mich auf die Informationen zum Haftungsrecht für MitfahrerInnen bei der Mitfahrerbörse mitfahrgelegenheit.de aufmerksam gemacht.

Das Thema Peak Oil beschäftigt Bernd Küffner im Moment stark (mich übrigens auch). Er hat dazu eine interessante Website gefunden, die gemeinschaftliche Lösungen der beginnenden Erdölknappheit vorstellt: The Community Solution to Peak Oil.

Samstag, 8. Oktober 2005

Studiert Chemie!

Der Artikel Über kurz oder lang von Wolf Lotter aus dem brand eins Magazin hat mir aus mehreren Richtungen Impulse gegeben.
Für meine Forschungsfrage in Sachen Konsensentscheidungen relevant ist ein Zitat des Münchener Soziologen Armin Nassehi:
"Die Demokratie hat man vor allem auch deshalb eingeführt, um Entscheidungsprozesse zu verlangsamen. Wenn einer allein entscheidet, geht das in der Regel ganz schnell. Die Willkür ist eine sehr schnelle Angelegenheit. Aber wenn man Parlamente hat, Ministerien, demokratische Strukturen, dann kann nicht schnell über einen Kamm geschert werden. Man kann mehr Meinungen berücksichtigen und Komplexität besser verarbeiten, wenn man ganz bewusst auf die Bremse tritt."
Das gilt natürlich umso mehr für Entscheidungen im Konsens aller Betroffenen.

Der Unternehmensberater Ulrich Golüke sagt:
"Risiken sind immer in der Zukunft liegende Ereignisse, man muss sie also mit Langfristigkeit behandeln. Eine kurzfristige Gesellschaft ist nicht mehr in der Lage, eine Übereinkunft darüber zu treffen, wer wofür verantwortlich ist – sie kann also die Risiken nicht mehr verteilen."
Nun aber zum Hauptteil dieses Beitrags, der auch die Überschrift erklärt. Michael Braungart ist ein Mensch, den ich unbedingt mal kennen lernen will. Er stellt der herrschenden Lehre von der Öko-Effizienz die Öko-Effektivität gegenüber:
"Hinter der gegenwärtigen Vorstellung von Ökologie steckt nichts Langfristiges, sondern nur ein romantisches Naturbild, zu dem immer auch gehört: Der Mensch ist schlecht. Denn wer die Natur überhöht, der muss den Menschen schlecht machen. Damit das Gewissen nicht so drückt, kaufen diese Leute Recycling-Produkte, zum Beispiel Klopapier, das als Recycling-Produkt aber derart viele Halogenwasserstoffe enthält, dass das Trinkwasser versaut wird. Kurzfristig ist das gut fürs Gewissen, das muss genügen. Man kauft ein Recycling-Produkt und ist damit kein ganz schlechter Mensch mehr, kein 100-prozentiges Schwein, sondern nur mehr ein 90-prozentiges."
"Effizienz steht für Kurzfristigkeit, Effektivität für Langfristigkeit", sagt Braungart, "das Effizienzdenken ist ein Mangelsystem. Man versucht, mit immer weniger von etwas auszukommen, zu vermeiden, zu sparen. Doch das ist der falsche Weg. Effektivität hingegen heißt, die Dinge grundlegend richtig zu machen."
An dieser Stelle fiel mir Professor Hans-Curt Flemming wieder ein, der als Experte für Abwasseraufbereitung ebenfalls mit Unternehmen zusammenarbeitet, um deren Produktionsprozess grundlegend richtig zu machen anstatt deren Fehler nachher wieder auszubügeln.
Etwas weiter hergeholt & dennoch im Thema fiel mir der Artikel Leistungsgrenzen von Fredmund Malik ein. Darin schreibt er nämlich, dass Menschen nicht an ihre Leistungsgrenzen kommen & alles geben was sie können, wenn sie nur darauf bedacht sind, ihre Schwächen loszuwerden. Das ist Effizienzdenken. Wer effektiv denkt, konzentriert sich auf die Stärken & was sich damit alles machen lässt.
"Wir arbeiten nach der Evolution. Denn die Evolution ist pure Vielfalt, weil das langfristig das einzige richtige Prinzip ist. Die Natur ist nicht sparsam oder vermeidet gar etwas, sondern ist im Gegenteil ungeheuer verschwenderisch. Es gibt von allem immer viel mehr, als nötig ist."
Ein konkretes Beispiel:
Wer so denkt wie Braungart, öko-effektiv, der findet heraus, dass Autofahren für die Umwelt eine großartige Sache sein kann. In Katalysatoren verbrennen heute bei Temperaturen um 1700 Grad Celsius Millionen Tonnen Stickoxide. Sie werden nach dem Willen der Öko-Effizienten unschädlich gemacht. "Mit dem Output an Stickoxiden, die in Katalysatoren heute noch nutzlos verbrannt werden, kann man den größten Teil des Weltbedarfs an Stickstoffen decken – und den braucht man für Dünger. Aber der wird heute mit enormem Energieverbrauch und unter beträchtlicher Umweltschädigung extra erzeugt."

Diesen Irrsinn plant Braungart nun gemeinsam mit dem Automobilhersteller Ford abzustellen. Ein Katalysator soll dabei herauskommen, der die nützlichen Stickoxide abfiltert. "Rein rechnerisch produzieren wir damit mehr, als die Landwirtschaft benötigt. Damit können wir die Mär von der Autoindustrie als einer der umweltschädigendsten Industrien überhaupt vergessen."
Ein letztes Zitat von Michael Braungart:
Unter seinen Studenten finden sich heute aber immer mehr Leute, die "Gott sei Dank so eitel sind, dass sie sagen: ,Ich will etwas wirklich besser machen, besser, als uns das Normen und Politik vorschreiben‘". Das klingt überheblich? "Eitelkeit ist für den Erfolg von langfristigen Projekten wahnsinnig wichtig. Qualität ist nämlich viel wichtiger als Moral." Tatsächlich wollten die meisten Menschen, wie die Bauherren von früher, ein wenig Ewigkeit haben, ein bisschen unsterblich sein.
Wer das in seinem Konsumverhalten in die Praxis umsetzen will, dem seien hier die beiden Versandhandelshäuser Manufactum & Biber empfohlen. Ausserdem habe ich mit einem Paar Socken sowie einem T-Shirt von SmartWool bisher beste Erfahrungen gemacht auf meiner Reise. Ach ja, meine Schuhe von ComfortSchuh hatte ich schon erwähnt, sie passen hier aber gut nochmal hin.

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Guten Tag FremdeR! Du bist hier beim Blog eines (Forschungs-) Reisenden zu Gemeinschaften & Kommunen gelandet. Unterwegs bin ich seit Ende Juli 2005, seit ca. Sommer 2006 inzwischen wieder sesshaft. Mehr über mich & mein Projekt erfährst Du im Startschuss-Beitrag. Darin erkläre ich auch, wie Du diesen Blog "bedienst"!
Im Beitrag Eine neue Kultur fasse ich meinen bisherigen Lebens-Schwerpunkt zusammen - darum geht es mir, nicht nur in diesem Blog.

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