Der Schwarm

Grundsätzlich lese ich keine Bücher, nur weil sie auf Bestsellerlisten auftauchen. Genauso wenig wie ich Musik aus den Charts höre. Eher mache ich einen Bogen um solche "Massen-Unterhaltung". Harry Potter & die Titanic-Verfilmung habe ich mir z.B. gespart.
Schwarm-Cover
Der Schwarm von Frank Schätzing wurde mir jedoch nachdrücklich von einem Freund empfohlen, der Geologie studiert. Ein Mann vom Fach also, den sowohl die hervorragend recherchierten wissenschaftlichen Grundlagen des Romans als auch die philosophischen Überlegungen, die darin angesprochen werden, begeisterten. Thomas: Vielen Dank für den Tipp & liebe Grüsse!
Nachdem nun endlich die Taschenbuch-Fassung erschienen ist, konnte ich nicht mehr widerstehen.

Vorneweg kann ich sagen, dass der Roman einer der spannendsten ist, den ich seit langem gelesen habe. & das kombiniert mit Unmengen fundierten Informationen & tiefgründigen Gedanken. Eine grandios geschilderte Fülle von teils genialen Ideen macht diesen Roman zum absoluten Muss!

Ein Film zum Buch ist auch schon in der Mache. Hatte ich mir auch mehrmals beim Lesen gedacht, "ob sich Hollywood daran schon die Filmrechte gesichert hat?"

Hier in diesem Artikel werde ich mich auf die nicht fiktiven Teile des Buches beschränken & nichts über die Handlung verraten. Auch wer das Buch nicht kennt & noch lesen will, kann also gefahrlos weiterlesen. ^^

Den Prolog hatte ich schon im Sommer gelesen, seitdem liess mich das Buch nicht mehr los & ausserdem kann ich nicht mehr guten Gewissens Fisch essen. Es geht nämlich um den peruanischen Fischer Ucañan, der noch mit einem Caballito, einem Schilfboot, aufs Meer fährt.

Inzwischen wurde er seiner Empfindungen nicht mehr Herr. Einerseits fühlte er sich bestraft. Von El Niño, der Peru seit Menschengedenken heimsuchte & für den er nichts konnte. Von den Umweltschützern, die auf Kongressen von Überfischung & Kahlschlag sprachen, dass man förmlich die Köpfe der Politiker sah, wie sie sich langsam drehten & auf die Betreiber der Fischereiflotten starrten, bis ihnen plötzlich auffiel, dass sie in einen Spiegel schauten. Dann wanderten ihre Blicke weiter auf Ucañan, der auch für das ökologische Desaster nichts konnte. Weder hatte er um die Anwesenheit der schwimmenden Fabriken gebeten, noch um die japanischen & koreanischen Trawler, die an der 200-Seemeilen-Zone nur darauf warteten, sich am hiesigen Fisch gütlich zu tun.

Sigur Johanson, (fiktiver) Biologe an der NTNU, beschäftigt sich mit Borstenwürmern samt Bakterienkonsortien, die auf & in den Würmern in Symbiose leben.
Die Würmer stellen im Roman ein Hindernis für die Erdölförderung in der Nordsee dar. Eine von insgesamt 450 Förderplattformen in der Nordsee & ein Schauplatz der Geschichte ist Gullfaks C. Das Maximum der weltweiten Erdölförderung ist ein zentrales Thema des Buches; zwar liegen noch erhebliche Reserven unter den Meeresböden & anderswo, es wird jedoch zunehmend schwieriger & damit teurer, diese zu fördern.

Im Grunde war das Nordsee-Ölgeschäft defizitär geworden. Allein, es einzustellen hätte noch grössere Probleme mit sich gebracht.
Schätzing legt Prof. Gerhard Bohrmann (zu ihm später mehr) folgende Worte in den Mund:
"Als der Ölboom losging, hat man sich keine Gedanken darüber gemacht, wie man den ganzen Schrott wieder entsorgt bekommt, den man da so lustig ins Meer gestellt hat. Man hat Abwässer & Chemikalien in die See & in die Flüsse geleitet nach dem Motto, sie werden's schon schlucken, radioaktives Zeug im Ozean versenkt, Ressourcen & Lebensformen ausgebeutet & vernichtet, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wie komplex die Zusammenhänge sind."
[...]
"Vielleicht ist das der grundlegende Unterschied zwischen Wissenschaft & Industrie. Wir sagen: Solange nicht hinreichend bewiesen ist, welche Rolle dieser Wurm spielt, können wir eine Bohrung nicht empfehlen. Die Industrie geht von derselben Prämisse aus, gelangt aber zu einem anderen Resultat."
"Solange nicht bewiesen ist, welche Rolle der Wurm spielt, spielt er keine." Johanson sah ihn an. "& was glauben Sie? Spielt er eine Rolle?"
[...]
"Die Industrie verwechselt den Idealfall gerne mit der Wirklichkeit. Sie will ihn damit verwechseln. Sie wird sich von allen Prognosen immer die sonnigste heraussuchen, damit es schneller losgehen kann, auch wenn man nichts weiss über den Kosmos, in den man da eingreift."

Hier wurde ich an den Romanzyklus Erdsee von Ursula K. LeGuin erinnert. Die Bücher handeln von Magie, & ein wesentliches Prinzip dort ist, dass alles miteinander zusammenhängt. D.h. auch wenn ein grosser Magier einen Zauber spricht, kommt er nicht umhin, die Auswirkungen seines Zaubers auf die nähere & fernere Umgebung zu berücksichtigen. Mit unserer Technik ist es nicht anders.


Leon Anawak, ebenfalls fiktiver Wissenschaftler, beschäftigt sich mit Walen & deren Intelligenz/Bewusstsein. Grosse Sorge macht ihm die Verseuchung von Orcas & anderen Meeressäugern mit PCB u.ä. Giften. Das Niederfrequenz-Sonar der U.S. Navy Surtass LFA wirkt sich ebenfalls fatal auf viele marine Lebewesen aus.
Eine zentrale Rolle spielen im Buch die Delphine des US Navy's Marine Mammal Program Ein laut U.S. Navy nicht existierendes "System MK0" von Delphinen, die mittels Elektroden im Gehirn ferngesteuert werden, sowie die Behauptung, die Navy forsche daran, Orcas mit nuklearen Sprengköpfen auszurüsten, kann ich zwar nicht bestätigen. Die Navy dementiert natürlich, aber da ihr gar nichts anderes übrig bleibt als zu dementieren, sagt das gar nichts. Militärgeheimnisse (bzw. Geheimwaffen) heissen so, weil sie eben geheim sind. Ich weiss also nicht, ob es so etwas gibt, aber genausowenig kann ich sicher sein, dass es nicht existiert.
Immerhin gibt es einen Bericht des Earth Island Institute über gestrandete Delphine mit Löchern an der hinteren Nackenseite.
Als weitere Forschungseinrichtung, die mit Meeressäugern experimentiert, nennt Schätzing in seinem Roman das französische Laboratoire d'Acoustique Animale.

George Frank, ein Ältester der Nootka & beteiligt an dem Projekt Salmon Coming Home, sagt in einer Unterhaltung mit Leon Anawak diese weisen Worte:
"Hishuk ish ts'awalk."
[...]
"Es ist der Kerngedanke fast aller indianischen Kulturen. Die Nootka reklamieren ihn für sich, aber ich schätze, anderswo sagen die Menschen dasselbe in anderen Worten: Alles ist eins. Was mit dem Fluss passiert, passiert mit den Menschen, den Tieren, dem Meer. Was einem geschieht, geschieht allen."
"Stimmt. Andere nennen es Ökologie."


Anawaks Gedanken zu einem Ausflug übers Eis in Nunavut: Mit dem Beginn ihrer Reise übers Eis würden sie einzig den Regeln der Natur folgen. Um hier draussen zu bestehen, brauchte man eine gewisse pantheistische Grundhaltung. Man durfte sich nicht wichtig nehmen. Man war nicht wichtig, sondern Bestandteil der Welt, die sich in Tieren, Pflanzen & im Eis manifestierte & gelegentlich auch in Menschen.

Gerhard Bohrmann & Erwin Suess arbeiten tatsächlich beim Forschungszentrum Geomar, & dort gibt es auch wirklich einen Tiefseesimulator.
Im Buch erklärt Bohrmann einer Schulklasse, was es mit Methanhydrat auf sich hat, von dem schätzungsweise 10 Teratonnen am Meeresboden liegt. Mehr sage ich dazu an dieser Stelle nicht, wer mehr wissen will, möge den Roman lesen. ;-)

Zitat Bohrmann aus dem Buch:
"Die Konzerne sind die neuen Auftraggeber der Forschung. [...] Die Industrie bezahlt die Forscher, nachdem der Staat es nicht mehr kann."
Eine Folge der Forschungsfinanzierung durch Wirtschaftsunternehmen ist, dass Wissensvorsprünge als Wettbewerbsvorteil gewertet werden, & es deshalb im Interesse der sponsornden Unternehmen ist, wenn WissenschaftlerInnen bestimmte neue Erkenntnisse nicht veröffentlichen. Damit gerät einerseits das Peer-Review als ausgezeichnetes Verfahren in der wissenschaftlichen Methode unter Beschuss, andererseits stellt sich die Situation als eine Art globales Gefangenendilemma dar. Solange eine Partei davon ausgeht, dass die anderen ihrerseits Wissen zurückhalten, wird sie vermeiden, dass die anderen ihr eigenes Wissen in die Finger bekommen. Sie hat also einen individuellen Vorteil von Geheimhaltung. In einer Kultur des Vertrauens & der Offenheit jedoch, in der alle Beteiligten ihre Erkenntnisse veröffentlichen, profitieren auch alle davon, & zwar überproportional zu ihrem eigenen Beitrag. Rishab Ayer Ghosh bezeichnet das als Cooking Pot Market - ein grosser Kochtopf, in den alle hineinwerfen, was sie beizusteuern haben, & aus dem sich jedeR das nimmt, was er/sie gerade braucht.
Somit ist auch das grundsätzliche Misstrauen aller Geheimdienste (d.h. auch diese Einrichtungen selbst), wie es im Schwarm beschrieben wird, im 21. Jahrhundert anachronistisch geworden.
David Brin schreibt über das Spannungsfeld von Privatsphäre & Transparenz in seinem Buch The Transparent Society.

Der fiktive Forscher Lukas Bauer untersucht den Golfstrom als Teil des Globalen Förderbandes von Meeresströmungen.


Um sich ein Bild zu machen, was Globalisierung bedeutet, ist ein Blick auf die Nadelöhre des Welthandels sehr aufschlussreich: der Ärmelkanal, die Straße von Gibraltar sowie die Malakkastraße konkurrieren um den Titel der meistbefahrensten Meeresstrasse der Erde. Durch die Strasse von Malakka fahren im Schnitt 600 Schiffe/Tag, bis zu 2000 an manchen Tagen. Die Meerenge ist 400 km lang, an der engsten Stelle gerade mal 24 km breit. Wenn's da rummst, dann ist das wie eine Thrombose des Welthandels.

Wenn's bei einem der Seekabel rummst, beispielsweise dem Transatlantik-Nachrichtenkabel TAT-14, dann können viele Menschen diesen Text hier nicht mehr lesen, weil diese Kabel nämlich die zentralen "Nervenleitungen" des Internet sind. Telefonverbindungen laufen nebenher auch noch drüber, beanspruchen jedoch heute nur noch einen geringen Teil der Bandbreite.
Als Ausweichmöglichkeit bietet sich einer der gut 3.500 Satelliten im Orbit - davon sind allerdings nur etwa 600 noch funktionsfähig, & auch nur ein Teil davon dienen der Datenübertragung.
Andere, wie der US-Spionagesatellit Keyhole, sind das verlängerte Auge von Big Brother. Entsprechende Passagen in Der Schwarm erinnerten mich an den Film Staatsfeind Nr. 1.

Aber zurück zum Welthandel:
"In der Regel werden Rohstoffe immer in den Norden verschifft. Australien exportiert Bauxit, Kuwait Öl & Südamerika Eisenerz. Alles wandert über Entfernungen von bis zu 11.000 Seemeilen nach Europa & Japan, damit in Stuttgart, Detroit, Paris & Tokio Autos, Elektrogeräte & Maschinen entstehen. & die wandern in Containerfrachten wieder zurück nach Australien, Kuwait oder Südafrika. Fast ein Viertel des gesamten Welthandels wird im pazifisch-asiatischen Raum abgewickelt, das entspricht einem Warenwert von 500 Milliarden US-Dollar. Unwesentlich weniger ist es im Atlantik. - Die Hauptballungszentren des Seeverkehrs sehen Sie dunkel markiert. Die amerikanische Ostküste mit Schwerpunkt New York, der europäische Norden mit Ärmelkanal, Nordsee & Ostsee bis hinauf zu den baltischen Republiken, das gesamte Mittelmeer, insbesondere die Riviera. Den europäischen Meeren kommt eine zentrale Bedeutung für den Welthandel zu, das Mittelmeer dient ausserdem als Seeweg von der nordamerikanischen Ostküste durch den Suezkanal nach Südostasien. Nicht zu vergessen die japanischen Inseln & der Persische Golf! Im Kommen ist das Chinesische Meer, es zählt neben der Nordsee zu den am dichtesten befahrenen Gewässern der Erde. Um die Abläufe des Welthandels auf den Meeren zu verstehen, muss man dieses Netzwerk verstanden haben. Man muss wissen, was es für die eine Seite des Globus bedeutet, wenn auf der anderen ein Containerfrachter sinkt, welche Produktionswege unterbrochen werden, wie viele Arbeitsplätze gefährdet sind, wenn es die Existenz oder das Leben kostet & wer vom Unglück profitieren könnte. Der Flugverkehr hat die Passagierschiffahrt abgelöst, aber der Welthandel hängt am Meer. Nichts kann den Wasserweg ersetzen."
[...]
"Tanker & Frachter sind Gebilde, die zur Hälfte aus Hightech bestehen. Die andere Hälfte ist archaisch. Schiffsdiesel & Rudermaschine mögen komplizierte, hoch entwickelte Konstrukte sein, aber unterm Strich dienen sie dazu, eine Schraube im Kreis zu drehen & ein Stück Stahl hin- & herzubewegen. Man navigiert mit GPS, aber Kühlwasser wird durch ein Loch ins Innere gepumpt. Warum auch anders? Man schwimmt ja darin. So einfach ist das."

So robust wie unsere technischen Gerätschaften & das System unserer Handelsbeziehungen auf den ersten Blick erscheinen, aktuell zeigt z.B. die Aussetzung des Handels an der Tokioter Börse, wie empfindlich das System Weltgesellschaft durch seine Komplexität geworden ist.

Die Auswertung der Daten des Geosat -Systems lieferte erstaunliche Erkenntnisse über die Form der Meeresoberfläche: Die Erde wird gelegentlich als "Kartoffel" bezeichnet, weil die Masseverteilung so ungleichmässig ist; die Kugelform ist jedenfalls nur noch andeutungsweise zu erkennen. Aufschlussreich dabei: Die Höhe der Wassersäule lässt auf den Meeresboden schliessen - wo sich grosse Gesteinsmassen gegenüber ihrer Umgebung erheben, da liegt auch der Wasserspiegel höher als anderswo.

Warum die Kanareninsel La Palma eine tickende Zeitbombe ist, lies am besten im Roman nach!

Um mal einen ganz groben Eindruck von der Fülle des Lebens in der Tiefsee zu bekommen:
In einem einzigen Liter Oberflächenwasser wuselten Dutzende Milliarden Viren, eine Milliarde Bakterien, fünf Millionen tierische Einzeller & eine Million Algen bunt durcheinander. Selbst Wasserproben aus der lichtlosen & lebensfeindlichen Tiefe jenseits 6.000 Meter förderten noch Millionen Viren & Bakterien zutage.

Zwar arbeitet beim SETI-Projekt in Arecibo keine Samantha Crowe, die Romangestalt basiert jedoch auf einer real existierenden Forscherin. Für mich die tiefsinnigste Stelle des Buches ist ihr Vortrag über Evolution:
"Fortschritt? Komplexität?" Crowe schüttelte den Kopf. "Was meinen Sie? Ist Evolution Fortschritt?"
Buchanan sah gequält drein.
"Gut, schauen wir mal", sagte Crowe. "Evolution, das ist der Kampf ums Dasein, das Überleben des Stärksten, um bei Darwin zu bleiben. Beides resultiert aus Widrigkeiten, entweder aus dem Kampf gegen andere Lebewesen oder gegen Naturkatastrophen. Es gibt also eine Weiterentwicklung durch Auslese. Aber führt das automatisch zu höherer Komplexität? & ist höhere Komplexität ein Fortschritt?"
"Ich bin nicht sehr bewandert in Evolution", sagte Peak. "Mir stellt es sich so dar, dass die meisten Lebewesen im Verlauf der Naturgeschichte immer grösser & komplexer geworden sind. Auf jeden Fall die menschliche Rasse. Aus meiner Sicht ganz klar das Resultat eines Trends."
"Ein Trend? Falsch. Wir sehen nur einen kleinen historischen Ausschnitt, innerhalb dessen gerade mit Komplexität experimentiert wird, aber wer sagt uns, dass wir nicht als Sackgasse der Evolution enden? Es ist unsere Selbstüberschätzung, mit der wir uns als vorläufigen Höhepunkt eines natürlichen Trends betrachten. Sie alle wissen, wie ein Evolutionsstammbaum aussieht, dieses verzweigte Gebilde mit Haupt- & Nebenästen. Also, Sal, wenn Sie sich so einen Baum vorstellen, wo würden Sie die Menschheit sehen? In einem Haupt- oder Nebenast?"
"Zweifellos als Hauptast."
"Das hatte ich erwartet. Es entspricht der menschlichen Sichtweise. Wenn viele Arme einer Tierfamilie aussterben, neigen wir dazu, den Überlebenden zum Hauptarm zu erklären. Warum? Nur weil er - noch - überlebt? Vielleicht sehen wir aber nur eine unbedeutende Nebenlinie, die es ein bisschen länger schafft als die anderen. Wir Menschen sind die einzige verbliebene Art eines einst üppigen Evolutionsbusches. Der Rest einer Entwicklung, deren übrige Zweige verdorrt sind, der letzte Überlebende eines Experiments mit Namen Homo. Homo Australopithecus: ausgestorben. Homo habilis: ausgestorben. Homo sapiens neanderthalensis: ausgestorben. Homo sapiens sapiens: noch da. Vorübergehend haben wir die Vorherrschaft über den Planeten errungen, aber Vorsicht! - Parvenüs der Evolution sollten Vorherrschaft nicht mit innerer Überlegenheit & längerfristigem Überleben verwechseln. Wir könnten schneller wieder verschwunden sein, als uns lieb ist."
"Möglicherweise haben Sie Recht", sagte Peak. "Aber Sie lassen etwas Entscheidendes ausser Acht. Diese einzige überlebende Art besitzt auch als einzige Spezies ein hoch entwickeltes Bewusstsein."
"Einverstanden. Aber betrachten Sie diese Entwicklung bitte vor dem Gesamtpanorama der Natur. Erkennen Sie da wirklich einen Fortschritt oder herausragenden Trend? 80 Prozent aller Vielzeller erfreuen sich eines weit grösseren Evolutionserfolges als der Mensch, ohne dass sie diesen angeblichen Trend zu höherer Nervenkomplexität ausgebildet hätten. Unsere Ausstattung mit Geist & Bewusstsein ist ein Fortschritt einzig aus unserer subjektiven Weltsicht. Dem Ökosystem Erde hat diese bizarre, unwahrscheinliche Randerscheinung Mensch bisher nur eines eingebracht: einen Haufen Ärger."
[...]
"Kommen Sie endlich in der Wirklichkeit an, wir sind nur eine kleine Gruppe aus der Spezies der Säugetiere, die von der Evolution längst noch nicht als Erfolg verbucht wurde. Die erfolgreichsten Säuger sind Fledermäuse, Ratten & Antilopen. Wir repräsentieren nicht das letzte, krönende Stück Erdgeschichte, sondern nur irgendeines. Es existiert kein Trend zu krönenden Epochen in der Natur, nur Auslese. Die Zeit mag eine vorübergehende Zunahme körperlicher & geistiger Komplexität bei einer Spezies dieses Planeten verzeichnen, aber das ist aufs Gesamte betrachtet kein Trend & schon gar kein Fortschritt. Allgemein zeigt das Leben keinen Impuls in Richtung Fortschritt. Es fügt dem ökologischen Raum ein komplexes Element hinzu, während es zugleich die simple Form der Bakterien seit drei Milliarden Jahren bewahrt. Das Leben hat keinen Grund, etwas verbessern zu wollen."
[...]
"Der Mensch verrät die Sache der Welt, indem er ein Missverhältnis schafft zwischen den Lebensformen & ihrer Bedeutung. Er ist die einzige Spezies, die das tut. Wir werten. Es gibt böse Tiere, wichtige Tiere, nützliche Tiere. Wir beurteilen die Natur nach dem, was wir sehen, aber wir sehen nur einen winzigen Ausschnitt, dem wir übersteigerte Bedeutung beimessen. Unsere Wahrnehmung ist auf grosse Tiere & auf Wirbeltiere ausgerichtet, & hauptsächlich auf uns selber. Also sehen wir überall Wirbeltiere. Tatsächlich liegt die Gesamtzahl der wissenschaftlich beschriebenen Wirbeltierarten bei knapp 43.000, darunter mehr als 6.000 Reptilienarten, zirka 10.000 Vogelarten & rund 4.000 Säugetierarten. Demgegenüber sind bis heute fast eine Million Wirbellose beschrieben worden, darunter alleine 290.000 Käferarten, die damit schon mal alle Wirbeltierarten um das Siebenfache übertreffen."
[...]
"Wir sind nicht erfolgreich", sagte Crowe. "Wenn Sie Erfolge sehen wollen, betrachten Sie die Haie. Sie existieren in unveränderter Form seit dem Devon, seit 400 Millionen Jahren. Sie sind hundertmal älter als jeder Urahne des Menschen, & es gibt 350 Arten."

Mir hat Der Schwarm vor Augen geführt, welch ein komplexes System mein (unser!) Lebensraum, die Erde, ist, & wie relativ unwichtig wir Menschen doch für das Ganze sind. Angesichts dieser Tatsache tun wir gut daran, bescheiden & demütig zu sein anstatt unser individuelles & kollektives Ego aufzublasen.
Unter geologischen Maßstäben sind wir Menschen gerade mal ein Augenzwinkern von Mutter Erde alt. Sich das vor Augen zu führen ernüchtert ungemein; es wischt alle eingebildete Wichtigkeit, von wegen "Krone der Schöpfung" & so, einfach weg.
Gleichzeitig bedeutet das, dass wir auf die Unterstützung unzähliger Organismen zählen können, wenn wir uns denn selber kooperativ verhalten. Nur ein ganz direktes Beispiel: ohne unsere Darmflora könnten wir einpacken, die machen nämlich die ganze Verdauungs-Drecksarbeit für uns. Mit grossem Staunen las ich, dass die Bakterien in unserem Darm von der Medizin sogar als ein eigenes Organ betrachtet werden!


Als gute Ergänzung zu diesem hauptsächlich naturwissenschaftlich geprägtem Roman bietet sich Eine Billion Dollar von Andreas Eschbach an. Darin erfährst Du eine ganze Menge darüber, wie unser globales Finanz- & Wirtschaftssystem funktioniert; also die gesellschaftlichen Hintergründe des Desasters, das wir Menschen mit unser heissgeliebten Technik auf der Erde anrichten, weil wir immer alles ganz schnell erledigt haben wollen. Nein, nicht bloss ganz schnell, sondern immer schneller!! Dieses "immer schneller, immer mehr" liegt unserem im Augenblick vorherrschenden globalen Geldsystem zugrunde.
Damit ist nicht gesagt, dass mit einer Änderung dieses Geldsystems alles gut würde. Es ist in jedem Fall ein ganz massgeblicher Faktor in dem grossen Spiel mit Namen "menschliche Geschichte" oder schlicht "Menschheit". Die Spezies homo sapiens sapiens ist noch mittendrin in ihrer Bewährungsprobe - & die wird auch nie zu Ende sein, bzw. exakt dann wenn unsere Art ausstirbt.
Die Evolution ist so etwas wie das Poppersche Falsifikationsprinzip in der Praxis. Arten sind immer nur relativ erfolgreich. & nur das Scheitern lässt sich eindeutig nachweisen.
Wenn wir als Art auf diesem Planeten überleben wollen, sollten wir verdammt nochmal die Art wie wir wirtschaften überdenken. Das funktioniert nämlich nicht auf Dauer nach dem Prinzip der Unsichtbaren Hand, dem Utilitarismus nach dem Motto "wenn alle an sich denken, ist an alle gedacht". Kooperation ist angesagt. Das hat andere Spezies viele Hundert Millionen Jahre überdauern lassen. Wer zu aggressiv über sein Futter herfällt, macht's nicht lange, weil er sich die eigenen Lebensgrundlagen entzieht.


Wem Der Schwarm gefällt, der/dem empfehle ich den Roman Earth (oder auf deutsch: Erde) von David Brin. Das ist ein ähnlich tiefsinniger Science Fiction-Roman, der anstatt von Vorgängen in der Tiefsee vielmehr Experimente mit Gravitationsstrahlen zum Thema hat. Brin spielt ein Szenario einige Jahrzehnte in der Zukunft durch.
ionathan (Gast) - 2006-02-23 00:29

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Ich fand diese Stelle sehr interessant.
"Der Mensch verrät die Sache der Welt, indem er ein Missverhältnis schafft zwischen den Lebensformen & ihrer Bedeutung. Er ist die einzige Spezies, die das tut. Wir werten. Es gibt böse Tiere, wichtige Tiere, nützliche Tiere. Wir beurteilen die Natur nach dem, was wir sehen, aber wir sehen nur einen winzigen Ausschnitt, dem wir übersteigerte Bedeutung beimessen."

So entstehen für mich Missverständnisse z.B. darin, dass jeder nicht alles wissen kann. Der eine hat nur den Teil einer Wahrheit gesehen der andere einen anderen Teil.
So habe ich mich gefragt, warum wir nicht fähig sind jede Situation sofort im Gesammten zu überblicken.
Wir können uns quasi nur in bestimmten Bewusstseinsebenen Aufhalten,Zwischen denen wir täglich oft wechseln. Mal bestehen unsere Gedanken darin, etwas zu Essen zu bekommen. Mal haben wir gegessen und wir erfreuen uns am wohlfühlenden Befriedigtsein. Mal erreichen wir dadurch meditative Zustände.
Wie können wir aber im Hier und Jetzt sein?
"Der Moment ist Folge und Ursache zugleich."
So ist alles was IST in jedem Augenblick.
Das die Gesammtheit (Vollkommenheit) ist in uns.
Wir filtern durch individuelle Wahrnemmungen, das heraus, was wir wahrnemen wollen. In anderen Worten:
"Die Absicht bestimmt die Sicht."
Wie können wir uns mit dem Gesammtbewusstsein verbinden?
Thomas Hübl hat versucht mir das beizubringen.
Durch Meditation und in sich gehen. Wobei es führ ihn kein Innen und Außen gibt. Durch Auflösen unseres Wahrnemungsfiltern verschmilzen wir so zusagen wieder mit der Ganzheit.
Back to the Roots also ;-)
Ich denke ich stelle mich der Schwierigkeit des akzeptieren der Wahrheit im Bewusstseinszustand den anderen.
Dann kann ich mich entweder von meinem weg in den Bewusstseinszustand des anderen hinbewegen. Und das ist für mich mit Widerstand verbunden.
Oder ich nehm alle Bewusstseinszustände an ohne zu bewerten: und verstehe.

ionathan

ionathan (Gast) - 2006-02-23 00:57

GfK

Was mir beim lesen des Zitats bei Bewerten duch den kopf ging war, dass Missverständnisse auch durch unsere akustischen Ausdrucksgewohnheiten wie z.B. Sprache entstehen.
Und da kam mir die Gewaltfreie Kommunikation als Hilfe vor dem Abgrund in den Sinn.

ionathan

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Im Beitrag Eine neue Kultur fasse ich meinen bisherigen Lebens-Schwerpunkt zusammen - darum geht es mir, nicht nur in diesem Blog.

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