Samstag, 26. November 2005

Du bist Deutschland - wie 1935 so auch heute!

Du bist Deutschland, Adolf ist Deutschland, Du bist Adolf
Denn DU bist Deutschland - jetzt schlägt's 13!
Mir ist diese Kampagne eh schon suspekt gewesen, aber nach den herzallerliebsten Parodien & der Strafanzeige ist sie bei mir endgültig unten durch.

Deutschland sucks!

Donnerstag, 24. November 2005

World Oil Peak Day

Der Erdölspezialist Kenneth S. Deffeyes hat den heutigen Tag zum World Oil Peak Day erklärt; siehe dazu das Interview in der taz. Es wird also langsam eng mit dem Erdöl. Da passt es natürlich ins Bild, dass sich britische & US-Ölkonzerne die irakischen Reserven sichern.
Es gibt einen englischsprachigen Film zum Peak-Oil herunterzuladen: Oilway to hell.
Eine interessante Webseite zum Thema Energie allgemein ist der Bund der Energieverbraucher.
Mir stellt sich dabei ganz besonders die Frage, was passiert eigentlich mit der globalen Frachterflotte, wenn das Schweröl ausgeht? War's das dann mit Welthandel, oder wird sich die Industrie rechtzeitig alternative Antriebssysteme ausdenken?

Kato-Gesprächsabend in Bremen

Kato? Who the f**k is Kato? Das fragte ich mich damals, als ich den Artikel in der KursKontakte über das Kato-Prinzip las. Erst als ich mir dann auch das Buch gekauft hatte, erfuhr ich darin, dass sich der Name auf den Karatekämpfer in den Inspektor Clouseau-Filmen bezieht.
Es geht beim Kato-Prinzip darum, auf spielerische Art Achtsame Kommunikation zu üben. Der Karatekämpfer Kato wurde deshalb zum Namensgeber, weil Inspektor Clouseau ihn engagiert, um ihn in jeder denkbaren Situation zu überfallen. Auf diese Weise schult Clouseau seine Achtsamkeit.
Heute Abend wurde mir noch einmal klar, was der Grundgedanke des Kato-Prinzips ist: JedeR ist für sich selbst voll verantwortlich, & zwar nur für sich selbst! Jeder Versuch, eigene Verantwortung abzugeben oder sich für andere zu verantworten gibt Punkte. Diese Punkt sind also allesamt Minuspunkte. Analog zu Inspektor Clouseau & Kato spielt mensch am besten in einer Gruppe, so dass sich die Leute gegenseitig auf solche Formulierungen aufmerksam machen. Es geht zwar prinzipiell auch allein, vieles bemerken jedoch andere eher als mensch selber.
Ich habe bisher keine Gruppe dafür gefunden & trotzdem meine Aufmerksamkeit so geschult, dass ich so gut wie nicht mehr "ich muss ..." sage. Sage ich z.B. "Ich muss morgen um halb acht aufstehen", dann stelle ich mich zum Aufstehen wie einer Naturgewalt. Dabei entscheide ich mich doch selbst - aus mehr oder weniger guten Gründen - dafür, um diese Uhrzeit aufzustehen.

Mit Formulierungen wie "Fahr vorsichtig!" oder "Zieh dich warm an!" oder auch "Bist du sicher, dass du das schaffst?" misstraue ich meinen Mitmenschen, dass sie selbst verantworten können was sie tun. Folglich gibt es auch für solche Phrasen Punkte. Das gefällt mir am Kato-Prinzip sehr: Den Grundsatz der vollen Verantwortlichkeit für mich selbst habe ich gefälligst auch auf alle anderen Menschen anzuwenden. Sobald ich also mit zweierlei Mass messe, hagelt es Punkte.
Oft versucht mensch ja auch, andere für etwas (allein) verantwortlich zu machen, woran mensch selbst mindestens einen erheblichen Anteil trägt. Das ist das Gegenstück dazu, anderen Menschen ihre Verantwortung für sich selbst abzusprechen; es wirkt genauso negativ.

So weit war mir also schon vor dem heutigen Abend klar, was das Kato-Prinzip will. Die beiden AutorInnen, Stephanie Bergold & Otmar Preuß (siehe SprungChance) boten zum zweiten Mal einen Gesprächsabend an. Ausser mir war noch eine andere Frau da - es war also eine sehr kleine Runde! Dadurch hatten sie & ich viel Gelegenheit, mit Stephanie & Otmar über das Buch zu sprechen & das Kato-Prinzip "am eigenen Leib zu erfahren".

Ich sprach beispielsweise die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) von Marshall Rosenberg an, die mir vor allem im ZEGG & auch bei anderen Gelegenheiten schon mehrfach begegnete. Das Kato-Prinzip weist nämlich starke Ähnlichkeiten dazu auf, geht jedoch noch einen entscheidenden Schritt weiter:
Während Rosenberg ganz zentral von Bedürfnissen ausgeht (sowohl eigenen als auch denen der anderen Menschen, mit denen ich kommuniziere), haben sich Stephanie Bergold & Otmar Preuß vom Bedürftigkeits-Denken verabschiedet. Für ein Bedürfnis bin ich letztlich nicht verantwortlich, es erscheint als "meine Natur". Womit wir übrigens wieder bei der New Age-Kritik wären.
Mir gefällt aus diesem Grund das Kato-Prinzip besser als die GFK. So rede ich seit einiger Zeit nicht mehr von Bedürfnissen, sondern von Interessen. Ein Interesse ist nichts Absolutes wie ein Bedürfnis, das ich auf die ein oder andere Weise unbedingt befriedigen muss - ich kann ggf. einen Kompromiss aushandeln oder mein Interesse bis auf Weiteres ganz zurückstellen & mich anderen Interessen widmen. So steige ich aus der Opferrolle aus & erkenne an, dass ich ein freier Mensch bin.
Dieser Ausstieg aus der Opferrolle kann sehr schmerzhaft sein, siehe dazu die Bücher von Arno Gruen, vor allem sein bekanntestes Werk Der Wahnsinn der Normalität.

Der Unterschied wird an folgenden Zitaten deutlich:
Wir gehen davon aus, dass es keine Herausforderungen gibt. Wir sind allem gewachsen & können mit jeder Situation umgehen. Deswegen brauchen wir uns nicht, was umgekehrt nicht heisst, wir wären nicht füreinander da. Das heisst nur: Wir sind nicht mehr besorgt umeinander. Sich umeinander sorgen basiert auf Angst, auf der Annahme, der andere sei nicht stark genug. Damit aber können wir einander schwächen.
Leben wir ehrlich, so heisst das:
  1. Wir nehmen keine Rücksicht auf andere (im Sinne von schonen).
  2. Wir wissen, dass der andere mit allem umzugehen weiss.
  3. Wir schonen uns nicht.
Rücksicht ist nicht gewärtig & meint: "Du hast nicht so viel Kraft, du bist kein ganzer Mensch." Und: "Ich weiss, was besser für dich ist." (Anmerkung im Buch: Es gibt auch die andere Bedeutung von "Rücksicht", im Sinne von achtsam sein. Deswegen ist es wichtig, genau hinzuschauen, was gemeint ist, wenn von "Rücksichtnahme" die Rede ist.)
Die beiden AutorInnen vertreten damit eine sehr radikale Auffassung; ich mag diese Sicht der Dinge. Denn mir ist ja sehr daran gelegen, emanzipatorische Denkansätze zu finden & (weiter-) zu entwickeln.

Neu für mich waren die folgenden Einsichten in die Natur des Fragens:
"Inquisitorische Fragen" ("wo warst Du gestern Abend?" u.ä.) geben nämlich auch Punkte. & generell ist Fragen eine heikle Angelegenheit, weil damit Machtstrukturen in die Kommunikation hineinkommen. Zugespitzt lässt sich formulieren:
Der Frager hat immer die Macht!
Denn wer eine Frage gestellt bekommt, gerät dadurch in Zugzwang. Der/die Fragende erwartet schliesslich eine Antwort. Vor allem die Warum-Fragen sind gefährlich. Dazu ein weiteres Zitat:
Eine andere Möglichkeit, Machtspiele zu spielen, ist, von anderen Gründe für ihre Entscheidungen zu verlangen, anstatt diese anzuerkennen, auch wenn sie uns nicht gefallen. Sie sind vor allen Dingen gegenüber Kindern beliebt, die damit unter Rechtfertigungsdruck gesetzt werden: "Warum hast du das getan?" In weniger ernsten Fällen kommen Kinder oft noch mit einem "Darum" davon, wobei diese Antwort zeigt, dass ihnen vollkommen klar ist, wie unangemessen sie eine solche Frage empfinden. Bei Erwachsenen scheint das nicht mehr so klar zu sein.
Mir ging die radikale Ablehung des Fragens, sofern ich nicht tatsächlich etwas Sachliches wissen will, zuerst zu weit. Immerhin habe ich für mich vor einiger Zeit ein universelles Recht, sich einzumischen postuliert, kombiniert mit dem Grundsatz des Rechtsstaats: Der Angeklagte hat das Recht die Aussage zu verweigern. Auch wenn die Struktur der Sprache das nahelegt, so muss ich doch auf keine Frage antworten. Ich habe jederzeit das Recht zu sagen "Dazu sage ich jetzt nichts".

Im Laufe des Abends kapierte ich, was für ein grundlegender Paradigmenwechsel das ist. Ich frage also z.B. meine Partnerin nicht mehr, wie es ihr grad geht oder wie ihr Tag war. Sondern ich überlasse es ihr, davon zu erzählen oder auch nicht. Indem ich frage, versuche ich Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen; oder wenn nicht das, so dränge ich ihr doch auf jeden Fall auf, worüber sie mit mir redet.
Anders - & im Sinne des Kato-Prinzips - läuft das ab, wenn ich von mir spreche. Damit mache ich ihr lediglich ein Angebot. Ob sie darauf eingeht, oder von sich aus über etwas ganz anderes spricht, liegt an ihr.
Stephanie Bergold nannte als Beispiel einen Kurs, den sie an der Volkshochschule gegeben hatte. Am Schluss wünschte sie sich ein Feedback der KursteilnehmerInnen. Fragt sie nun "Wie hat Ihnen denn der Kurs gefallen?", oder sagt sie von sich selbst ausgehend "Mich interessiert, wie Ihnen der Kurs gefallen hat. Wer mag, kann jetzt dazu etwas sagen", dann fühlt sich das sehr unterschiedlich an. Im einen Fall fühle ich mich genötigt, den Kurs zu kommentieren (& dabei auch noch möglichst positiv!), im anderen Fall kann ich etwas dazu sagen, wenn es mir selber wichtig ist, ich kann aber auch einfach schweigen.

Der Schweizer Psychologe Aron Ronald Bodenheimer hat zu diesem Thema ein kleines Büchlein (erschienen im Reclam Verlag) geschrieben: Warum? Von der Obszönität des Fragens. Das werde ich mir demnächst besorgen.
Als Fazit ist jedenfalls hängen geblieben: Frage nur, wenn du tatsächlich etwas vom anderen wissen willst!

Übrigens ist Jean Gebser eine wesentliche Inspirationsquelle für das Kato-Prinzip.

Es hat mich besonders im Rahmen meiner Gemeinschaftsreise zum Kato-Gesprächsabend gezogen, weil das Kato-Prinzip in Gemeinschaften bestimmt sehr sinnvoll sein kann. Gerade wo Menschen nicht nur zusammen wohnen, sondern gemeinsam arbeiten & leben, entschärft die Haltung, sich selbst für das was mensch tut zu verantworten, viele Konflikte.

Mittwoch, 23. November 2005

Gruss an alle Globetrotter und Tramper

Mein Gruss ist ein wörtliches Zitat von der Autobahnraststätte Michendorf südlich von Berlin an der A10:
Gruss an alle Globetrotter und Tramper. Viel Glück auf euren Reisen.
Danke an den unbekannten Schreiber dieses Grusses! & Gruss zurück!
Ich bin supergut durchgekommen gestern, in knapp fünf Stunden von Berlin - Raststätte Grunewald bis nach Bremen - Strassenbahnhaltestelle Sebaldsbrück.

Übrigens habe ich für Bremen das erste Mal so richtig das Schlafbuch
der ErdenbürgerInnen
genutzt & bin in einer netten coolen WG untergekommen.

Gesellschaft mit beschränkter Haftung?!?

Bindungs-Angsthase
Dieses Werbeplakat in Berlin hat mich doch ganz schön schockiert. Eine Gesellschaft, die solche Werbung macht, steht kurz vor ihrer Selbstauflösung bzw. befindet sich schon mitten darin.
Dabei fiel mir wieder ein, was der Unternehmensberater Ulrich Golüke im brand eins-Artikel über die kurzfristige Gesellschaft sagte (siehe Studiert Chemie!).

Sicher ist diese Werbung ironisch gemeint. Aber sie erhebt doch "Schluss machen, wann immer man will" zu einem erstrebenswerten Ziel.
Wie soll da ein Gesellschaftsvertrag zustande kommen & auch noch eingehalten werden?

Dienstag, 22. November 2005

Und Bahro wirkt doch als Ökofaschist!

Vielleicht hatte er das selber gar nicht kapiert, denn mein Eindruck nach dem Videomitschnitt auf dem Symposium war "der ist viel zu nett, um Faschist zu sein".
Lese ich seine Aussagen, so komme ich nicht umhin, diese als faschistoid zu klassifizieren. Ich beziehe mich dabei vor allem auf Zitate aus dem Buch Die Götter des New Age.

Dabei bin ich mir bewusst, dass der Autor Peter Kratz, wenn er vom "wissenschaftlichen Sozialismus" redet, ebenso einer Ideologie anhängt wie jene die er kritisiert. & gerade die Mehrheitsentscheidungen, die er durch das organizistische Denken des New Age gefährdet sieht, halte ich für zutiefst undemokratisch. Es handelt sich dabei schlicht um die Diktatur der Mehrheit, was mit "Herrschaft des Volkes" so viel zu tun hat wie Ballermann 6 mit spanischer Kultur. Siehe auch die "Diktatur des Proletariats" im ehemaligen Ostblock. Übrigens war das de facto eine Diktatur der Parteiführung & somit auch wieder eine Form der Klassenherrschaft.
& wer die gewaltsame Christianisierung der Kelten & Germanen als Schutzbehauptung von "Alt- und Neofaschisten" abtut, rechtfertigt damit religiösen Imperialismus übelster Art. Das wundert mich ganz besonders, als Peter Kratz doch vermutlich Karlheinz Deschner mit seiner Kirchenkritik voll unterstützt - wie es sich für "gute Linke" gehört. Bei ihm lässt sich all dies nachlesen, was die christlichen Missionare damals - & zwar durchaus auch im Gefolge Karls des Grossen - trieben. Wer nicht glauben wollte, musste dran glauben. So lief das damals. Insofern ist mir völlig unverständlich, wie emanzipatorische Linke diese Tatsachen nicht wahrhaben wollen.

Dennoch trifft Kratz' New Age- & vor allem Bahro-Kritik voll ins Schwarze. Ich betone noch einmal, dass ich nicht die Person Rudolf Bahro für einen Faschisten halte - deshalb habe ich hier getitelt "Bahro wirkte als Ökofaschist". Seine Aussagen in Büchern & Interviews zielen für mich klar auf eine autoritäre, antidemokratische Gesellschaftordnung. Wer diese als Ökofaschismus bezeichnet, weicht damit den Begriff des Faschismus auf & sollte sich dessen bewusst sein. Denn Peter Kratz betont ja selber, dass das New Age gerade keine Gewalt(herrschaft) propagiert, sondern im Sinne von Michel Foucault ohne direkte Gewalt durch Disziplinierung wirken will. Gewaltherrschaft halte ich jedoch für ein konstituierendes Merkmal des (historischen) Faschismus.

Der Text Politische Ökologie von einem Seminar an der Uni Münster nennt Herbert Gruhl als weiteren Denker mit ökofaschistoider Tendenz.


Auf einer Tagung "Politik & Spiritualität" im Frühjahr hat Julio Lambing fünf "Fallstricke der Eso-Szene", wie ich es nannte, vorgestellt:
  1. Die Wahrheit
  2. Trennung Geist (pneuma / lat. spiritus) - Körper (soma) - Seele (psyche) & daraus Überbetonung des Geistigen (Spiritualität)
  3. Evolutionäres Denken
  4. Apokalyptisches Weltbild
  5. den letzten Punkt hab ich vergessen
Lambing hat einen umfangreichen Artikel beim Rabenclan geschrieben, in dem er speziell auf die Neuheiden eingeht: Antidemokratische Strömungen im naturreligiösen Umfeld.

Ich gehe hier noch einmal auf die einzelnen Punkte ein:
Die Wahrheit™ meint so viel wie, dass jemand für sich beansprucht, die Wahrheit zu kennen, & an dieser Wahrheit ist dann auch nicht zu rütteln. Vernünftiges Denken, gar kritisches Hinterfragen wird als "verkopft" abgelehnt.
Der Begriff "Spiritualität" meint ausschliesslich das Geistige, eben Spirituelle. Indigene Kulturen kennen eine solche Trennung, wie sie zuerst die antiken Griechen vornahmen, überhaupt nicht. Ganzheitliches Denken stellt dem gegenüber nur eine Krücke dar, den Versuch, wieder zu verbinden was zuvor erst künstlich getrennt wurde.
Der Vorwurf des Evolutionären Denkens richtet sich nicht gegen die Evolutionstheorie im Gefolge Charles Darwins, sondern gegen die Annahme einer zielgerichteten Evolution sowohl der Natur als auch der menschlichen Kultur. Damit trifft er neben anderen übrigens auch den Historischen Materialismus von Marx & Engels - jedenfalls sofern sie als Automatismus der menschlichen Geschichte verstanden wird. Gefährlich wird dieses Denken nämlich dann, wenn eine bestimmte evolutionäre Richtung als die "richtige" & "natürliche" behauptet wird. JedeR, die/der von dieser angenommenen Evolutionsrichtung abweicht, kann dann als potentiell gefährlich & "unnatürlich" abgestempelt & zwangweise gleichgeschaltet werden. Die Wurzelrassenlehre von Helena Blavatsky, welche von einer vorgegebenen Abfolge immer "besserer" "Menschenrassen" ausgeht, diente den Nazis als mythisch-ideologische Rechtfertigung ihrer Pogrome.
Ein apokalyptisches Weltbild zeichnet sich dadurch aus, dass von einem baldigen Untergang der menschlichen Zivilisation (wenn nicht sogar dem Ende allen Lebens auf der Erde) ausgegangen wird, falls nicht umgehend drastische Massnahmen "das Ruder noch herumreissen". Das hat Martin Marheinecke in seinem Rabenclan-Artikel ausführlich geschildert, so dass ich nur die fatale Wirkung kurz schildere: Ähnlich wie beim evolutionären Denken, nur noch viel drastischer, führt dieses Weltbild dazu, Andersdenkende zu unterdrücken. Denn wenn es nur eine mögliche Rettung der Menschheit gibt, dann sind alle, die diese vermeintliche Rettung ablehnen, Feinde der Menschheit.

Samstag, 19. November 2005

Rudolf-Bahro-Symposium II

Zu Beginn ein persönlicher Einschub: Qualitatives Wachstum braucht erheblich langfristigere Vorfinanzierung als quantitatives Wachstum, weil dafür geforscht werden muss! Siehe dazu auch den Beitrag zu Michael Braungart.

Vom Homo consumens zum Homo integralis


Burkhard Bierhoff beschäftigte sich in seinem Vortrag viel mit den Ersatzbefriedigungen unserer kapitalistischen Gesellschaft. Er hielt dem die Freiwillige Einfachheit entgegen, was Bahro als "kontraktive Lebensweise" bezeichnete. So nach dem Motto "weniger ist manchmal mehr" ;-)
Mir gefällt dieser Ansatz allerdings deshalb nicht, weil er mit den Worten Michael Braungarts öko-effizient ist anstatt öko-effektiv. Das alles sind Negativforderungen, es geht darum "falsches" Verhalten zu minimieren.
Durch Verzicht komme ich nicht zur Fülle!

Im Gefolge Bahros wird hier plumpe "Grenzen des Wachstums"-Propaganda betrieben & ein Malthus-Revival gefeiert. Bierhoff kritisierte das Buch The Ultimate Resource des Ökonomen Julian Lincoln Simon, der darin die Behauptung einer festen Obergrenze der menschlichen Bevölkerung auf der Erde widerlegt. Zwar habe ich das Buch selber nicht gelesen, stimme jedoch mit der Argumentation überein. Schliesslich ist der menschliche Geist in der Lage, immer effektivere Technologien (materieller wie immaterieller Art) zu ersinnen, die die vorhandenen Ressourcen oftmals um Grössenordnungen besser ausnutzen als bisher. Vor Entdeckung der Kernspaltung waren die Uranvorkommen in der Erde nur nutzloses Metall; jetzt sind sie Energieträger. Genauso war es mit dem Erdöl.
Entscheidend ist nicht, dass bestimmte Rohstoffe auf der Erde vorhanden sind, sondern wie intelligent wir diese nutzen.

Welches Wachstum brauchen wir?


Dieter Steiner, emeritierter Professor für Quantitative Geographie & Humanökologie an der ETH Zürich, spricht in Analogie zur Ökologie von einer "seelisch-geistigen Nahrungskette". Beim einzelnen Menschen lehnt er diese an die Maslowsche Bedürfnispyramide an.
In beiden Fällen beschreibt die Nahrungskette, wie ein Lebewesen bzw. ein Bedürfnis in einen grösseren Rahmen eingebunden ist. Die Jäger sind von ihrer Beute abhängig, so wie - laut Maslow - ein höherwertiges Bedürfnis erst auftritt, wenn die grundlegenderen Bedürfnisse befriedigt sind.

Im Bereich des Sozialen baut Steiner eine "Nahrungskette" von
  1. Ökologie
  2. Kultur im engeren Sinn
  3. Gesellschaft im engeren Sinn
  4. Wirtschaft
Sein Modell stellt - wie die Viergliederung - die heute bestehenden Verhältnisse "vom Kopf auf die Füsse". Die Wirtschaft steht in der Nahrungskette ganz unten, sie hat den Menschen zu dienen & nicht umgekehrt.

Steiner machte eine interessante Anmerkung zur Vernunft: dem Wortsinn nach ist Vernunft nämlich das was vernommen wird! Wer vernünftig denkt & handelt, tut das floglich nicht aktiv, sondern indem er die Weisheit des Alls vernimmt.

Er erwähnte dann Wolfgang Harich, einen weiteren DDR-Dissidenten, der den Wachstumszwang in Ost & West kritisierte. Er schrieb ein Buch Kommunismus ohne Wachstum, in dem er einen nicht-wachstumsorientierten Kommunismus als einzige Möglichkeit zum Überleben der Menschheit darstellt.

Die vergessene Seite des Menschen


Hartmut Frank hielt einen Spontanvortrag, weil er für einen verhinderten Referenten eingesprungen war.
Ich gab seinem Vortrag den Titel Die Spaltung in & um uns.
Einleitend beurteilte er die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre als bisher nur Anpassungen patriarchaler Strukturen, in denen wir immer noch stecken.
Er bezog sich stark auf C.G. Jung, der die Spaltung in Ego & Selbst für die Ursache dafür hielt, dass sich nichts grundlegend in unserer Kultur ändert. Frank folgt Jung darin, den Zugang über das Erotische, tiefgründig-Seelenhafte zu suchen.
Was die Menschen heute brauchen, bezeichnet er als Öffnung zur starken Liebe.
Zum Abschluss seines Vortrags sagte er, dass wir versuchen, durch materiellen Konsum ein religiöses Bedürfnis zu sättigen.

Die emotionale Matrix : Bahros Ideen für eine transdisziplinäre Sozialökologie


Maik Hosang stellte in seinem Vortrag die Ideen vor, die er mit zwei weiteren Autoren im Buch Die emotionale Matrix ausführt. In diesem Zusammenhang weise ich gezielt noch einmal auf den oekom Verlag hin, der eine Menge interessanter Bücher veröffentlicht, so auch das von Maik.
Analog zu der Trichotomie Phänotyp - Umwelt - Genotyp (chemobiotische Matrix), die in der Biologie eine biologische Art kennzeichnet, analysiert Maik Hosang Gesellschaftsformen im Spannungsverhältnis Kulturtyp - Umwelt - Emotyp (biokulturelle Matrix). Der Emotyp bzw. die biokulturelle Matrix stellt dabei
die "Tiefenstruktur" einer Gesellschaft dar, das was in der Gesellschaft nicht bewusst reflektiert wird & dennoch oder gerade durch ihre Entwicklung steuert.
Die biokulturelle Matrix wird gebildet von sieben so genannten Existenzialen, die aufeinander aufbauen:
  1. Physis
  2. Sexus
  3. Macht
  4. Liebe
  5. Sprache
  6. Erkenntnis
  7. Sinn
Im Zentrum steht für Maik Hosang dabei die Liebe. Sie stellt auch in der
Abfolge der Existenziale den grössten qualitativen Sprung dar; wer liebt, orientiert sich an den Bedürfnissen bzw. Interessen anderer.

Podiumsgespräch


Aus dem Podiumsgespräch halte ich nur die Erkenntnis des Dutch Research Institute for Transition für erwähnenswert, dass kulturelle Veränderung immer an den Rändern geschieht, nicht im Zentrum einer Kultur!


Ganz zum Schluss zeigte Andreas Peglau noch einen Videomitschnitt einer Diskussionsveranstaltung mit Rudolf Bahro, Hans-Joachim Maaz und Bernd Senf aus dem Jahr 1992. Mein Eindruck von Bahro aus diesen Videoaufnahmen ist der eines freundlichen, sehr belesenen Denkers, der gern viel redet. ^^

Kontakt

Jabber: iromeister@deshalbfrei.org
Skype: brich.die.regeln
Mail: rincewind_at_
ist-einmalig_punkt_de

Intro

Guten Tag FremdeR! Du bist hier beim Blog eines (Forschungs-) Reisenden zu Gemeinschaften & Kommunen gelandet. Unterwegs bin ich seit Ende Juli 2005, seit ca. Sommer 2006 inzwischen wieder sesshaft. Mehr über mich & mein Projekt erfährst Du im Startschuss-Beitrag. Darin erkläre ich auch, wie Du diesen Blog "bedienst"!
Im Beitrag Eine neue Kultur fasse ich meinen bisherigen Lebens-Schwerpunkt zusammen - darum geht es mir, nicht nur in diesem Blog.

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